Ich habe die Nacht relativ gut geschlafen. Zu meinem Erstaunen hatten die Mücken ihre Attacken auf mich in der Nascht eingestellt. Zum Frühstück habe ich noch eine Käsestange von gestern übrig und brühe mir einen Kaffee auf. Gemahlenen Kaffee finde ich in der Küche und brühe ihn mit heißem Wasser auf. Heute Morgen hat es angefangen zu regnen und es sieht für die nächsten drei Tage nicht gut aus. Zum einen zieht ein riesiges Regengebiet über Polen hinweg, zum anderen soll es ziemlich kalt werden und die Temperaturen auf 7 Grad sinken. Auch heute ist es schon merklich kühler und die Temperaturen steigen nicht mehr über 14 Grad. Der Regen wird mich wohl den ganzen Tag begleiten und ich habe ca 90 Kilometer vor mir. So verpacke ich mein Gepäck auf dem Fahrrad und umgebe es mit dem zugehörigen Regenschutz und auch mich packe ich möglichst regenfest ein. Dann geht es los!
Meine Gastgeber sind nicht anwesend und so verlasse ich das Gelände ohne Verabschiedung. Zunächst fahre ich die vier Kilometer bis zur Fähre über den Dunajec. Der Fluss sieht hier nicht nur wegen des Regens nicht so malerisch aus wie ich ihn inzwischen auf einigen Fotos im Internet betrachten konnte. Kein Wunder, die Tatra, wo er entspringt und die Westkarpaten aus denen er herausfließt sind einer recht eintönigen flachen Auenlandschaft gewichen. Ich muss Gottseidank nur kurze Zeit auf die Fähre warten. Die Überfahrt ist kurz und kostet nichts. Auf der anderen Seite geht es dann wieder auf dem auch hier gut ausgebauten Radweg weiter zurück an die Weichsel. Gemütlich ist die Fahrt nicht. Es ist zwar kein starker Regen, aber doch ein intensiver Dauerregen und natürlich wird man zumindest äußerlich nass und auch die Handschuhe durchnässen zunehmend, was dazu führt, dass ich an den Händen zu frieren beginne. Was die Füße betrifft, leisten meine mitgenommenen Gamaschen gute Dienste, so dass die Füße weitgehend trocken bleiben.
Trotz des gut ausgebauten Radweges ist die Strecke auch heute nicht sonderlich interessant. Sie ist flach und wie gestern geht es lediglich entlang der Weichselauen mit ihren Wiesen und Feldern. Die Landwirtschaft scheint hier, soweit man das jetzt nach der Erntezeit noch beurteilen kann, insbesondere Feldwirtschaft zu sein. Von Viehzucht sehe ich kaum etwas. Nur einmal sehe ich eine Weide mit Kühen. Nach etwa 40 Kilometern ändert sich die Situation abrupt. Der Weichselradweg endet und ich werde auf eine viel befahrenen Nationalstraße weitergeleitet. Dass der Radweg endet, war mir bewusst, dennoch ist es nach über 200 Kilometern gutem Radweg doch sehr gewöhnungsbedürftig. Ich wusste natürlich auch, dass es nun die nächsten etwa 500 Kilometer anders weitergehen wird. Gleich nach dem Ende des Radweges geht es auf der Nationalstraße 73 auf einer Brücke über die Weichsel, wo dann die Woiwodschaft Heiligkreuz beginnt.
Nach zwei Kilometern komme ich an eine Tankstelle mit Raststätte. Hier mache ich erst einmal eine längere Rast. Mein Fahrrad kann ich unter dem Dach der Tankstelle vor den Fenstern der Raststätte abstellen. In der Raststätte entledige ich mich erst einmal meiner Regenkleidung, lege die Handschuhe auf die Heizung und hänge meine Regenjacke an eine Garderobe. Dann genehmige ich mir einen Cappuccino und eine Burger mit pommes frites. Während des Imbiss versuche ich mich mit der nun kommenden Strecke vertraut zu machen. Nach etwa einer dreiviertel Stunde breche ich wieder auf. Die Regenjacke ist wieder ziemlich trocken, die Handschuhe nur wärmer aber weitgehend feucht geblieben. Ich freue mich erst einmal, dass die weitere Strecke nun von der Nationalstraße abbiegt und offensichtlich über Nebenstraßen weitergeführt wird.
Zunächst geht es auch auf guten Nebenstraßen weiter. Hinter Poloniec, wo eines der größten Kraftwerke Polens befindet, werden die Straßen dann aber schlechter. Schließlich führt die Strecke über inzwischen verschlammte Feldwege durch tief Pfützen zu einer Eisenbahnbrücke über die Weichsel. Mei Navi will nun, dass ich über die Brücke fahre. Es ist auch eine eigener Weg da, allerdings scheint es nur ein Dienstweg zu sein und der Durchgang ist verboten. Da ich keine Alternative sehe, gehe ich auf dem verbotenen Weg mein Fahrrad schiebend etwa einen Kilometer über die Weichsel. Natürlich habe ich ein schlechtes Gefühl dabei zumal es sich um einen Gitterweg handelt und ich nicht ganz schwindelfrei bin. Es ist zumindest ein ungutes Gefühl, wenn man an sich herunterschaut und dann den Strom der Weichsel unter seinen Füßen sieht. Aber irgendwann ist es geschafft. Danach werden die Wege auch wieder etwas besser und bald gelange ich auch wieder auf Nebenstraßen und erreiche gegen 16:30 Uhr mein heutiges Ziel, das Schloss Baranow Sandomierski. Der Ort Baranow Sandomierski liegt schon nicht mehr in der Woiwodschaft Heiligkreuz, sondern im Karpatenvorland. Mein hier gebuchtes Hotel ist zwar nicht das Schloss selbst aber ein im Schlosspark stehendes, modernes zweistöckiges Hotelgebäude, das anstelle eines früheren Bedienstetengebäudes errichtet wurde.
Nachdem es den ganzen Tag geregnet hat komme ich ziemlich wassertriefend in der Rezeption an. Man empfängt mich dennoch freundlich und ich darf mein ziemlich dreckiges Fahrrad sogar ohne Einwände in einen Vorraum der Rezeption stellen. Nachdem ich eingecheckt habe, ziehe ich mich erst einmal auf mein Zimmer zurück und prüfe, ob mein Gepäck die Regenfahrt gut überstanden hat. Ich kann zufrieden sein. Der Regenschutz hat seinen Zweck erfüllt. Der Inhalt der Gepäcktaschen ist zwar etwas klamm aber trocken geblieben. Vorsichtshalber packe ich die Sachen aber doch aus, um sie durchzulüften. Danach gönne ich mir eine warme Dusche, die nach der Tour sehr angenehm ist und meine Lebensgeister zurückkehren lässt. Noch schöner ist es danach frische Sachen anzuziehen.
Tagesstrecke: 91,10 Km
Besichtigung des Schlosses
Nachdem ich meine nasse Fahrradkleidung zum trocknen über eine Heizung gehängt habe, mache ich mich auf den Weg zum Schloss. Für 18 Uhr habe ich eine Führung gebucht. Das Schloss Baranów Sandomierski, auch Leszczyński-Palast genannt, ist eine ehemalige Magnaten-Residenz, die als „Perle der polnischen Renaissance“ gilt und im Volksmund wegen ihrer vermeintlichen Ähnlichkeit zum Krakauer Schloss auch als „Kleiner Wawel“ tituliert wird. Mir wäre eine solche Ähnlichkeit sicher nicht aufgefallen, schon weil das Krakauer Schloss auf dem Wawel-Hügel steht, während das Schloss Baranow Sandomierski auf einer flachen Ebene errichtet wurde. Meine Führung durch das Schloss scheint zunächst zu scheitern. Mit gestikulierenden Hand- und Kopfbewegungen gibt mir ein Mann vor dem Shop des Schlosses zu verstehen, dass Führungen nur ab fünf Personen möglich seien. Als ich schon etwas gefrustet wieder abziehen will, kommen aber noch etwa 6 oder 7 andere Personen und so kann ich nach Zahlung eines Obulus von 10 Zloty dann doch an einer Führung teilnehmen. Ich verstehe zwar kein Wort, aber dennoch bekomme ich so einen Eindruck von dem Schloss.
Das Schloss hat eine recht wechselvolle Geschichte sowohl was die Eigentümer als auch was die Baugestaltung betrifft. Die Bezeichnungen Leszczyński-Palast und Magnaten-Residenz resultiert wohl aus der etwa hundert Jahre wärenden Eigentümerschaft der polnischen Magnatenfamilie Leszczyński zwischen 1569 und 1677. Der letzte Eigentümer aus der Familie der Leszczyńskis war Rafał Leszczyński, Vater des mehrmaligen polnischen Königs Stanisław Leszczyński (1677-1766). Dessen Tochter Maria Leszczyńska (1703–1768) war dadurch Prinzessin von Polen und ab 1725 als Frau Ludwigs XV. Königin von Frankreich. Ob beide jemals auf dem Schloss waren, konnte ich nicht feststellen. Gehuldigt wird ihnen auf jeden Fall mit überlebensgroßen Gemälden. Die Burg beherbergte vermutlich den polnischen König Stephan Báthory auf Durchreisen. Auch ihm wird mit einem der Gemälde im Schloss gedacht. Stephan Báthory (1533 – 1586) war ab 1576 König von Polen und Großfürst von Litauen.
Die Regentschaft des Königs Stephan Bartory zeigt auch eine der Eigentümlichkeiten des polnischen Königtums. Verheiratet war er mit Anna Jagiellonica (1523 – 1596). Sie war eine polnisch-litauische Prinzessin aus dem Adelsgeschlecht der Jagiellonen. Sie war formell ab 1575 bis zu ihrem Tod, als „König“ von Polen und „Großfürst“ von Litauen, gewähltes Staatsoberhaupt von Polen-Litauen. Die 49-jährige Anna war noch unverheiratet, als ihr Bruder König Sigismund II. August 1572 kinderlos verstarb. Dies machte sie als eine der letzten Vertreterinnen der Jagiellonen-Dynastie zur Hauptfigur des politischen Lebens im Königreich. Der neu gewählte König sollte sich mit Anna vermählen. Die Krone erhielt 1573 der französische Prinz Heinrich von Valois. Nachdem er jedoch Polen ein Jahr später verlassen hatte (ohne formal abgedankt zu haben), um den französischen Thron nach dem unerwarteten Tod seines Bruders als Heinrich III. zu besteigen, entstand in Krakau ein Machtvakuum. Am 15. Dezember 1575 wurde Anna zu seinem Nachfolger gewählt. Gleichzeitig begann die Suche nach einem geeigneten Gemahl für sie. Man entschied sich für Stephan Báthory, den regierenden Fürsten von Siebenbürgen, der zum König von Polen und Großfürst von Litauen gewählt wurde. Anna wurde zum rechtlich gleichgestellten „Mitherrscher“ erkoren, die faktische Macht im Lande lag in den Jahren 1576–1586 dennoch in den Händen ihres Ehegatten.
In den übrigen Jahrhunderten wechselte das Schloss sehr häufig seine Besitzer. Das Schloss wurde nach mehreren Bränden immer wieder auf- und umgebaut. Der letzte Umbau erfolgte nach einem Brand 1898. Dabei wurde die Raumaufteilung teilweise geändert. Auch die Schlosskapelle wurde verlegt und im Krakauer Jugendstil umgestaltet. Nachdem das Schloss im 2. Weltkrieg erneut Zerstörungen erlitten hatte, wurde es ab 1950 wieder instand gesetzt. Letzte Restaurierungsarbeiten waren im Jahr 1965 abgeschlossen. Dabei wurden auch die Stuck- und Gemäldedekorationen im Inneren aus dem 17. und 18. Jhdt. teilweise wieder hergestellt.
Nach dem Besuch der Schlosskapelle ist der Rundgang zu Ende. Nun lockt das Restaurant im Kellergewölbe des Schlosses. Hier gibt es sogar eine Speisekarte auf Englisch. Ich entscheide mich für Hähnchenbrust mit Farmer pommes frites und Letchogemüse. Mit einem Bier dazu und einer Maskarponecreme zum Abschluss lasse ich es mir gut gehen. Danach spüre ich doch die Anstrengungen des Tages und ich falle ziemlich todmüde in das Bett.