Tagesstrecke: 79,64 Km; 620 Hm; 13,42 Km/h
Das Wetter ist trüb heute morgen, der Himmel ist bedeckt und es zieht ein größeres Regengebiet heran. Die Temperaturen sind aber recht angenehm und pendeln sich so um die 20 Grad ein. Ich fahre gegen 8:45 Uhr los. Zunächst geht es aus der Stadt raus. Dann führt mich Komoot nach etwa vier Kilometern auf einen Weg mit losem Untergrund. Wahrscheinlich damit ich ein schöneres Bild vom Kloster Karczowka bekomme. Der Nachteil ist nur, dass ich die nächsten vier Kilometer auf diesem losen Untergrund fahren muss, der entweder aus scharfkantigen großen Kieselsteinen oder aus tiefem Sand besteht. Beides ist kein Vergnügen fürs Fahrradfahren. Zu allem Überfluss ist Komoot damit auch vom Green Velo abgewichen. Aber auch das geht vorbei.
Der Klosterkomplex Karczowka wurde in den Jahren 1624 -1631 im Spätrenaissance-Frühbarock-Stil errichtet. Karczówka ist ein malerischer Hügel im westlichen Stadtteil von Kielce, in dem sich das alte schöne Bernhardinerkloster aus dem XVII. Jh., gestiftet vom Bischof Marcin Szyszkowski, befindet. Die Frühbarockkirche wurde in den Jahren 1624 – 28 errichtet. Der Blick darauf hat sich schon gelohnt.
Nach etwa 15 Kilometern erreiche ich die Ruine des Pałac Tarłów in Podzamczu Piekoszowskim. Der Bau der befestigten Magnatenresidenz, die fast eine Kopie des Kielce-Palastes der Bischöfe von Krakau ist, wird gemeinhin dem Woiwoden von Sandomierz und Lublin, Jan Aleksander Tarło, zugeschrieben. Dieser Aristokrat, Kunstmäzen, Schriftsteller und Diplomat aus Kleinpolen heiratete 1653 die Prinzessin Anna Czartoryska, und vielleicht hing die Gründung des neuen Sitzes mit diesem Ereignis zusammen. Einen etwas anderen Grund für den Bau des Palastes gibt die folgende Anekdote. Auf einer Party, die der Krakauer Bischof Jakub Zadzik in seiner Residenz in Kielce veranstaltete, lehnte der stolze Gastgeber die Einladung des Woiwoden verächtlich ab und fügte mit seiner angeborenen Bescheidenheit hinzu: „Ich gehe nicht in Hütten.“ Beleidigt erwiderte Tarło: „Ich lade Sie ein, in zwei Jahren nach Piekoszów zu kommen, in denselben Palast, den Sie hier haben.“ Zwei Jahre später wurde in Piekoszów ein Gebäude errichtet, das streng nach den Maßen von Kielce gebaut wurde.Der Palast wurde in den Jahren 1645-50 errichtet. Der Überlieferung nach kostete es den Gründer bis zu 30 Dörfer von seinem Besitz. In der Nähe der neuen Residenz ließ Tarło auch einen kleinen Palast errichten, der ein Namenstagsgeschenk für seine Frau sein sollte. Piekoszów blieb bis 1842 in den Händen der Familie Tarło und war die ganze Zeit bewohnt. Später wechselte es mehrmals den Besitzer. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts brannte der Palast ab und wurde nicht wieder aufgebaut. Bis heute ist vom ehemaligen Sitz der Familie Tarło eine malerische Ruine mit einer gut erhaltenen inneren Teilung erhalten geblieben. Die Einrichtung ist für die Öffentlichkeit zugänglich, die ihr eindeutig nicht dient. Seine Innenräume dienen als Mülldeponie, es gibt auch Spuren von Lagerfeuern und viele menschliche Exkremente. Es ist schade, dass sich niemand um dieses schöne Denkmal kümmert. Dem kann ich mich nach einem Rundgang auf dem Gelände nur anschließen. Immerhin wächst auf dem Gelände des ehemaligen Gartens jetzt Getreide.
Die Großstadt liegt nun hinter mir und es wird wieder ländlich. Immer noch sind zwei Höhenzüge des Heiligkreuzgebirges zu überwinden. Die Anstiege sind aber moderat, aber es geht eben immer auf und ab. Aber es gibt eben auch schöne langgezogene Abfahrten. Auf einer schaffe ich dann sogar mal wieder 50 Km/h. Langsam bzw. zunehmend schneller kommt aber auch das Regengebiet näher. Es wird dunkler und diesiger. Ich nehme mir vor, mich rechtzeitig unterzustellen, um meine Regensachen überzustreifen. Mir scheinen dafür die Häuschen an den Bushaltestellen besonders geeignet zu sein. Als ich an einer vorbeikomme, rede ich mir ein, dass die nächste sicher noch reicht. Doch dann kommt erst mal keine mehr und es wird immer bedrohlicher dunkel. Nun merke ich zum ersten mal, dass man in meinem Navi auch Bushaltestellen erkennen kann. Das lag sicher daran, dass ich jetzt eine Fahrradbrille habe mit der man auch besser gucken kann. So sehe ich dann auch eine, die nicht mehr allzu weit entfernt in dem Dörfchen Chelmce steht. Als ich sie erreiche bin ich sehr zufrieden, weil ich sowohl mich als auch mein Fahrrad unterstellen kann. Inzwischen fallen die ersten Tropfen. Als ich mir meine Regensachen angezogen habe, was bei älteren Menschen vielleicht etwas länger dauert, fallen nicht mehr nur Tropfen, sondern es ist ein richtiger Platzregen. So setze ich mich erst einmal auf die Bank im Buswartehäuschen und sinniere darüber nach, ob es wirklich sinnvoll ist, jetzt weiterzufahren. Ich konsultiere meine Regen-App noch mal, die mir auf ihre Weise mitteilt, dass der Platzregen noch eine Weile andauern wird, dass der ganze Spuk aber voraussichtlich in einer halben Stunde vorbei ist. Insofern wäge ich ab und komme zu dem Ergebnis, dass es sich für eine halbe Stunde nicht lohnt, sich diesem Wetter auszusetzen.
Die Wetter-App, die mich sonst oft bei tagesübergreifenden Wettervorhersagen sehr enttäuscht, hat diese Mal Recht und schon nach 25 Minuten ist der Platzregen vorbei und einige Minuten später fallen die letzten Tropfen. Ich lasse meine Regensachen erst einmal an und fahre weiter. Nach wenigen Minuten löst sich der bedeckte Himmel aber auf und es ist nur noch wolkig mit immer häufigeren Sonnenunterbrechungen. Also halte ich an einem der nächsten Bushaltehäuschen, ziehe die Regenklamotten etwas schneller aus als ich sie angezogen hatte und radle vergnügt weiter und bewältige in meiner sommerlichen Fahrradkleidung den ersten der beiden Höhenrücken.
Schließlich komme ich nach Grzymałków, ein Dorf mit etwa 500 Einwohnern, was hier aber schon fast einen kleinstädtischen Charakter ausstrahlt. Immerhin gibt es zwei Supermärkte. Beim Leviathan versorge ich mich erst einmal mit Brötchen und Räucherkäse für einen Lunch in der freien Natur. Schon bei der Abfahrt in diesen Ort war mir eine Kirche mit einem verhältnismäßig hohen Turm aufgefallen. Ich überlege, ob dies eine Form einer mittelalterlichen Wehrkirche sein könnte. Als ich dann aber weiter in diesen Ort hineinfahre, fahre ich zunächst an einer alten, inzwischen etwas heruntergekommenen Kirche vorbei, die aber immer noch etwas von ihrem alten Glanz ausstrahlt. Hier wird auch auf einem Plakat der Erhalt der alten Kirche gefordert. Innerlich kann ich mich dem nur anschließen, sie ist nämlich tatsächlich ein architektonisches Kleinod. Also ist der hohe Turm, der einer neuen Kirche und das Ergebnis einer neuzeitlichen Architektur. Inzwischen habe ich recherchiert. In der polnischsprachigen Wikipedia heißt es dazu: In dem Dorf gibt es derzeit „zwei Kirchen. Die „alte Kirche“ des Heiligen Erzengels Michael aus dem Jahr 1859, die derzeit in Trümmern liegt, und die Pfarrkirche der Verklärung Christi, die 1978 geweiht wurde“. Dass die alte Kirche in Trümmern liegt, kann man nun wirklich nicht behaupten und ist schlicht eine Unwahrheit. Ob es sich tatsächlich lohnt sie wieder zu restaurieren kann ich natürlich nicht beurteilen. Würde man es tun und beispielsweise eine Kultureinrichtung damit verbinden, hätte die Gemeinde sicher ein bemerkenswertes Kleinod.
Weiter geht es auf den nächsten 15 Kilometern durch eine wieder mal sehr stille Landschaft. An einem MOR mache ich meine Mittagspause. Man kann nicht viel dazu erzählen. Danach geht es aber auf einem straßenbegleitendem Radweg bis Konskie. Mit der Stille ist es allerdings dann spätestens in Sielpla Wielka vorbei, das mit dem See Sielpinskie ein Naherholungsgebiet hat, was in der Gegend eines gleichen sucht.
In den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurde in Sielpia Wielka ein Erholungsstausee (mit einer Fläche von 57 Hektar) angelegt, auf dem sich viele Ferienanlagen befinden. Gegenwärtig ist Sielpia Wielka der größte Ferienort in der Region Heiligkreuz und verfügt über eine ausgedehnte Unterkunftsbasis für über 5 Tausend Touristen im Sommer.
Dann geht es nach Konskie meinem heutigen Ziel. Die Stadt liegt im Nordwesten der Woiwodschaft Heiligkreuz. Sie liegt am Rande des Kielcer Berglandes im Süden und der Tiefebene Masowiens im Norden. Die Umgebung ist von vielen Wäldern geprägt. Ich fahre auch durch die Wälder bis an den Stadtrand von Kielce, aber leider auf einem zwar guten Radweg aber entlang einer vielbefahrenen Woiwodschaftsstraße. Nach Konskie hinein komme ich dann auf einem schönen Radweg entlang der Allee der Gedenk-Eichen. Die Gedenkstätte erinnert an die Leiden und Opfer der polnischen Bevölkerung während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Vor den noch jungen Eichenbäumen stehen Schilder mit einem oder mehreren Namen von Opfern.
Einige hundert Meter weiter, auf der Ulica Partyzantow ist dann mit einem Spielplatz verbunden das letzte MOR und damit das Ende des Green Velo erreicht. Natürlich halte ich hier an und lege einige Gedenkminuten über meine Reise entlang dieses Weges ein. Freilich habe ich mich immer gefragt, warum der Green Velo nun gerade in Konskie endet. Aber das braucht man ja nicht zu akzeptieren. Ab morgen fahre ich meinen eigenen Green Velo weiter.
Nun aber noch einige Worte zur Geschichte Konskies. Mitte des 16. Jahrhunderts hatte sich Końskie zu einem Zentrum der Stahlverarbeitung entwickelt. Neben 320 Eisenwerken gab es 40 Schmieden in der Umgebung. In den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts erwarb der Vogt Rafał Małachowic Końskie und weitere Dörfer der Umgebung. Vor allem den Bemühungen von Jan Małachowic ist es wohl zu verdanken, dass Końskie am 30. Dezember 1748 durch durch den sächsischen Kurfürsten und polnischen König August III. das Stadtrecht nach Magdeburger Recht verliehen wurde. Durch die neuen Rechte entwickelte sich das Handwerk verstärkt und vor allem die Waffenherstellung gewann an Bedeutung für den Ort. Im 18. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Stahlindustrie weiter zu, es wurden Hochöfen errichtet und es kam zum größten wirtschaftlichen Aufschwung für die Stadt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden ein jüdischer Friedhof und eine Synagoge errichtet, eine der wichtigsten Holzsynagogen Polens. Der Anschluss an das Schienennetz über eine Teilstrecke der heutigen Bahnstrecke Łódź–Dębica erfolgte 1885. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Stadt von österreichischen Truppen besetzt. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Końskie bereits am 3. September 1939 durch Flieger der Wehrmacht bombardiert. Dabei wurde unter anderem der Bahnhof zerstört. Auch diese Stadt hatte eine große jüdische Bevölkerung, die zwischen 1939 und 1943 vollständig ausgerottet wurde.
Der Rest meines heutigen Tages ist schnell erzählt. Ich schaue mir noch das ebenfalls an der Partyzarnow gelegene Rathaus an, das ein einstöckiger langgestreckter Bau ist, der früher einmal zu einer Palastanlage gehört haben muss, weil er am Beginn des Schlossparks steht. Danach fahre ich noch zum Hauptplatz der Stadt an der Marzalka Jozefa Pilsudskiego. Hier werfe ich auf und in die St. Nikolaus-Stiftskirche einen Blick. Auf dem Platz steht auch noch ein sehenswertes Denkmal mit einer Statue von Tadeusz Kościuszko auf seinem Pferd. Er gilt in Polen als Nationalheld, wird aber auch in Weißrussland, Litauen und den Vereinigten Staaten verehrt. Er nahm tatsächlich am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg teil und organisierte den polnischen Aufstand von 1794 gegen die russische und preußische Vorherrschaft, der als „Kościuszko-Aufstand“ bekannt ist. Leider erfolglos.
Weil es inzwischen schon auf 18 Uhr zugeht, fahre ich nun zu meinem etwas außerhalb der Innenstadt liegendem Hotel Arkadia, das an eine Tankstelle angeschlossen ist. Hier habe ich für einen sehr niedrigen Preis ein sehr ordentliches Zimmer gebucht.