Nach dem Frühstück im Gartenrestaurant des Uphus-Restaurant lese ich noch ein wenig auf meinem Zimmer und schreibe an meinen Berichten. Dann setze ich mich wieder auf mein Rad und fahre wie beabsichtigt noch einmal nach Wuthenow. Der Weg führt über den Seedamm, der den Ruppiner See teilt und 1898 seiner Bestimmung übergeben wurde. Über ihn wurde die erste direkte Eisenbahnverbindung zwischen Berlin und Neuruppin ermöglicht. Beim Bau des Damms starben acht Ruppiner Arbeiter, denen mit einem Denkmal auf der Neuruppiner Seite des Damms gedacht wird.
Auf der anderen Seite des Damms am Ufer des Sees finde ich dann einen Blick auf Neuruppin, der mir schon die ganze Zeit meines Aufenthalts vor Augen stand und den ich dann natürlich auch fotografiere. Bald bin ich dann aber in Wuthenow an der Kirche und sie ist nun offen und ich werde von einem freundlichen Wärter eingelassen. Die Kirche wird als Schinkelkirche bezeichnet wird. Es handelt sich um eine sogenannte Schinkelsche Normalkirche, die ich ja nun gerade vor zwei Tagen in Krangen kennengelernt hatte. Insofern ist gar nicht anzunehmen, dass Schinkel unmittelbar mit der Planung und Bauausführung etwas zu tun hatte.
In Wuthenow wollte man ursprünglich eine andere Kirche bauen. So hatte der Bauinspektor Friedrich Wilhelm Ferdinand Hermann 1824 Entwürfe für ein neues Kirchengebäude angefertigt und diese bei der zuständigen Potsdamer Regierung eingereicht. Die Gutachter lehnten das Projekt jedoch ab und forderten stattdessen die Nutzung der inzwischen verbreiteten Schinkelschen Normalkirche. Um Geld zu sparen, sollte zunächst der Glockenturm weggelassen werden. Landrat Friedrich Christian von Zieten konnte jedoch von der Regierung den Zuschuss für den kompletten Turmbau erwirken. Insofern ist der Turmbau eine auch kostenmäßig ins Gewicht fallende Änderung von den Plänen einer Normalkirche Schinkels. Der Kirchturm mit seinen zwei Seitentürmen, in denen die Glocken untergebracht sind, ist bis zur ersten Etage so breit wie das gesamte Kirchenschiff, darüber erhebt sich der Hauptturm bis zu einer Höhe von 19,30 m. Dieser ist im Verhältnis zu seinem giebelbreiten Unterbau niedrig.
der Innenraum ist eine Halle, die auch übergangslos den Chor mit einbezieht. Kirchenraum wird von einer dreiseitigen Empore auf Balkensäulen umgeben. Der Altar auf einem dreistufigen Podest ist ein einfacher Altartisch (Mensa), auf dem gusseiserne Leuchter und ein Kruzifix stehen. Auch nach Schinkels Religionsverständnis waren Predigt, Liturgie und Sakrament gleichbedeutend, weswegen Kanzel, Altar und Taufe eine gestalterische Einheit bilden.
Wichtig in dieser Kirche ist aber vor allem noch das Bild: Prospectus Ruppinensis ac Wuthenowensis inventus a M. Samuele Dietrich Pet. Inspect. pictus ab Henrico Krügero, 1694. (Fontane übersetzte es als „Ansicht von Ruppin und Wuthenow; erfunden von Herrn Samuel Dietrich, Superintendent an der Kirche St. Petri; gemalt von Heinrich Krüger 1694). Das herausragende an dem Bild ist sicher, dass es die einzige noch erhaltenen Stadtansicht Neuruppins vor dem großen Stadtrand 1787 ist. Ansonsten ist aber auch die Interpretation des Bildes durch Fontane sehr aufschlussreich. So schreibt er in den Wanderungen: „Dies seltsame Bild, das nicht nur „gemalt“, sondern (wie mein ächtes Kunstwerk) auch „erfunden“ ist, besteht aus zwei Hälften, aus einer realistischen und einer allegorischen, von denen die realistische (pinxit ab Henrico Crügero) sich damit begnügt, Ruppin mit seinen Kirchen, Thoren, und Mauertürmchen zu conterfeien, während die allegorische Hälfte (inventus ab Samuele Dietrich) die kirchlichen Beziehungen zwischen dem Ruppiner Superintendenten und seinem Wuthenower Filiale darstellt. Beide Hälften sind interessant genug. Das alte Ruppin ist 1787m niedergebrannt und lebt nur in diesem Wuthenower Bilde noch. … Pikanter noch ist die allegorische Hälfte, in der die „Erfindung“ zu Tage tritt. Sie besteht darin, daß uns der Ruppiner Geistliche und sein Küster in den verschiedenen Phasen ihrer sonntäglichen Kirchenfahrt gen Wuthenow vorgeführt werden. Verschiedene Scenen, die in Wirklichkeit der Zeit nach aufeinander folgen, folgen sich hier dem Raume nach und die zeitlichen Zwischenräume von 5 oder 10 Minuten werden durch räumliche Zwischenräume von 5 bis 10 Zoll Durchmesser ausgedrückt. Sinnreich genug.“ Fontane unterscheidet dabei fünf Phasen, die ich in den Bildern weiter unten mit Fontane beschreiben werde. Fontanes Fazit: „An Naivität lässt das Ganze nichts zu wünschen übrig“.
Ich darf mich tatsächlich nach Lust und Laune in der Kirche tummeln, währenddessen der Wärter mit großem Interesse und Erstaunen mein Fahrrad erkundet und mich fragt, wo den der Akku für den Motor sei. Da muss ich nun auch ihn darüber aufklären, dass es sich um eine Pinon-Schaltung handelt und kein E-Bike ist. Ich bedanke mich aber auch, dafür, dass er mir eine Beschreibung der Kirche kostenlos überlässt, weil mein Kleingeld alle ist und er auf 20 € nicht rausgeben kann. Dann mache ich mich auf den Rückweg, fahre aber diesmal nicht über den Damm, sondern über Alt Ruppin und das letzte Stück um den Ruppiner See. In Alt Ruppin statte ich noch der gotischen Nikolaikirche einen kurzen Besuch ab. Sie ist ebenfalls als offene Kirche ausgewiesen und als ich eintrete lässt sich die Wärterin beim Lesen ihres Buches kaum stören.
Dann geht es zurück in mein Siechenhaus. Mein Abendessen nehme ich heute in der nahen Gaststätte „Zur Wichmannlinde“ ein, von der man einen wunderschönen Blick auf die Wichmannlinde und die Klosterkirche hat. So endet denn mein erster Besuch in Neuruppin. In drei Tagen werde ich hier aber noch einmal Station machen.
Tagesstrecke: 21,30 Km