15. Tag (12. August 2024) – Jüdische Spuren in Lodz

Stadtrundfahrt in Lodz: 26,6 Km

Das Wetter ist wieder ausgesprochen angenehm. Temperaturen um 25 Grad und ein meist wolkenloser Himmel. Da ich heute insbesondere das jüdische Leben und Schicksal in Lodz erkunden möchte und die Stätten zum Teil einige Kilometer auseinanderliegen, mache ich heute keinen Stadtrundgang, sondern eine Stadtrundfahrt mit dem Fahrrad.

Das Jüdische Lodz und was davon noch zu sehen ist

Mit Ausnahme Warschaus lebten in keiner anderen Stadt Europas vor dem Zweiten Weltkrieg so viele Juden wie in Łódź. Die 223.000 Juden stellten ein Drittel der Einwohner der Textilmetropole. Davon wohnten bereits vor dem deutschen Überfall auf Polen und vor der Errichtung des Gettos rund 62.000 Juden im Łódźer Armenviertel Baluty unter widrigen Umständen. Die Infrastruktur des Stadtteils war schon vor der Ghettoisierung in einem beklagenswerten Zustand; hier standen überwiegend einstöckige Holzhäuser, die größtenteils über keine Gas- oder Stromversorgung verfügten. Rund 95 % der Gebäude waren ohne Toiletten, Wasser oder einen Kanalanschluss. Durch die Umsiedlung weiterer Juden aus Łódź, dem Umland und später aus dem Reichsgebiet sowie den von den Nationalsozialisten besetzten Ländern verschärften sich die Wohnverhältnisse katastrophal.

Im Februar 1940 erklärte der Polizeipräsident von Łódź, SS-Brigadeführer Johannes Schäfer, die im Norden der Stadt gelegenen besonders rückständigen Viertel Bałuty, Marysin und Stare Miasto (Altstadt) per Verordnung zum Ghetto. Alle nichtjüdischen Bewohner hatten den Bereich bis zum 30. April des Jahres die Viertel zu verlassen, und gleichzeitig wurden zu den bereits ansässigen 60.000 Juden weitere 100.000 Lodscher Juden per Zwang einquartiert. Das neue, etwa vier Quadratkilometer große „Judenghetto“ wurde mit Stacheldraht und Mauern versehen, wozu teilweise auch ganze Straßenzüge abgerissen wurden.

Von nun an war es den Juden bei Todesstrafe verboten, ohne Erlaubnis das Ghetto zu verlassen. Die Anweisung des Kommandeurs der Schutzpolizei Litzmannstadts Walter Rudolf Keuck vom 19. Mai 1940 sah vor, dass beim Versuch, das Ghetto illegal zu verlassen, sofort ohne Vorwarnung zu schießen sei. Dasselbe galt für Personen, die beim Schmuggeln angetroffen wurden. Für die Kontrolle der Einhaltung dieses Verbotes sorgten an der Grenze des Ghettos in Wachtürmen postierte bewaffnete SS-Wacheinheiten. Der Aufbau des Ghettos erfolgte u. a. durch das Hamburger Reserve-Polizei-Bataillon 101. Die Bewachung erfolgte auch durch Polizeieinheiten, u. a. 1940-1941 durch das genannte Polizeibataillon.

Das Ghetto begann wenige Meter nördlich des Platzes der Freiheit und ebenfalls wenige Meter östlich der Manufaktura. Heute findet sich dort ein Park, der aber trotz seiner Größe nur einen kleinen Teil des damaligen Ghettos ausmachte. Der Park wurde nach 1945 sowohl als Gedenkstädte als auch als grüne Lunge und Flanierpark angelegt. Er heißt heute Altstadtpark trägt aber auch zur Erinnerung die Beifügung das „verlorene oder das verschwundene Viertel“. So finde ich hier eine Metallleiste im Pflaster, die auf die Ghettogrenze hinweist. Die Konturen der abgerissenen Gebäude und der ehemaligen Straßen wurden durch Bepflanzungen markiert. Von Februar bis Mai blüht es hier und es entsteht eine bunte Flora, die dann wieder verschwindet. Sie soll Sinnbild für die Vergänglichkeit der Zeit und eine Hommage an das verschwundene Viertel sein.

Nach dem Besuch dieses Parks fahre ich nun zum jüdischen Friedhof. Der Jüdische Friedhof zählt mit seinen etwa 0,4 km² zu den größten der Welt und ist der größte jüdische Friedhof Europas. Er gehörte während der Zeit der deutschen Besatzung auch zum Ghetto. Er wurde 1882 eröffnet, nachdem Izrael Poznański, der Besitzer der und Entwickler der Manufaktura, die Fläche erworben und dafür zur Verfügung gestellt hatte. Es befinden sich 160.000 bis 180.000 erhaltene Grabmale dort, wobei das Poznański-Mausoleum das größte ist. Er hat sich dort also auch sein eigenes Denkmal gesetzt. Auf einem Teil des Friedhofs sind etwa 43.000 Opfer des Ghettos Litzmannstadt beerdigt. Leider habe ich diesen Teil des Friedhofs nicht erkannt bzw. ausmachen können.

Der Friedhof ist auch deshalb interessant, weil hier auch jüdische Begräbnisrituale ausgestellt sind. Ich kenne mich mit den diesbezüglichen Gepflogenheiten zwar nicht aus, aber es ist interessant sich dies mal anzuschauen, was hier in einer Trauerhalle ausgestellt sind. Um auf den Friedhof zu gelangen, muss man Eintritt zahlen. Der Friedhofwärter, der hier sitzt, macht einen etwas gelangweilten Eindruck, antwortet mir aber auf meine Fragen, die ich mit der Übersetzer-App stelle, doch recht präzise. Viele Besucher scheint der Friedhof nicht zu haben, während meines etwa halbstündigen Besuchs, sehe ich keinen Menschen auf dem Friedhof.

Das Ghetto in Lodz war das am längsten existierende nationalsozialistische Ghetto und nach der Zahl der Gefangenen nach dem Warschauer Ghetto das zweitgrößte in Polen. Es diente wie auch die anderen NS-Ghettos vor allem als Zwischenstation vor der Deportation in die deutschen Vernichtungslager Kulmhof, Auschwitz II, Majdanek, Treblinka und Sobibor. Die Transporte dorthin erfolgten überwiegend mit der Deutschen Reichsbahn vom nahegelegenen Bahnhof Radegast, zu dem ich nun fahre.

Im Jahre 2005 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs Radegast (poln. Radogoszcz) eine Holocaust-Gedenkstätte eingeweiht. Von dieser Bahnstation wurden in der Zeit vom 16. Januar 1942 bis zum 29. August 1944 mehr als 150.000 Juden in die Vernichtungslager Kulmhof und Auschwitz transportiert. Die Gedenkstätte umfasst das hölzerne Bahnhofsgebäude, in dem ein Museum eingerichtet wurde, einen originalgetreuen Zug der Reichsbahn und Gedenktafeln sowie einen Tunnel, der zu einem Denkmal führt, das von Czesław Bielecki 2003 in Form eines an ein Krematorium erinnernden Turmes mit der Inschrift „Du sollst nicht töten“ entworfen wurde. Damit wird der Weg in die Vernichtungslager symbolisiert.

Ich finde es eine wirklich gelungene Gedenkstätte, die das Elend, die Demütigungen, die Hoffnungslosigkeit der jüdischen Opfer, aber auch den Zynismus und die Brutalität der Deutschen Besatzer sehr gut in Szene gesetzt hat. Man kann den Besuch dieser Gedenkstätte nur empfehlen. Hier spürt man nicht nur, sondern die Phantasie lässt einen die Folgen von Antisemitismus in einer Diktatur nachempfindbar machen. Das muss man auch immer wieder denen deutlich machen, die heute die Verbrechen der Israelis im Gazastreifen und im Westjordanland zu einem neuen Antisemitismus verleiten. Es gibt kein entweder oder – Verbrechen bleiben Verbrechen, egal von wem sie begangen werden.

Leider kann ich mir die Ausstellung und auch den Tunnel, durch den man eigentlich hindurchwandern soll, nicht genauer anschauen. Der Tunnel wird gerade renoviert und ist schon von daher nicht zugänglich und die Ausstellung ist ab 16 Uhr geschlossen. Als ich ankomme ist es 16:05 Uhr. Pech gehabt.

Der letzte Zielpunkt meiner heutigen Tour durch das jüdische Lodz ist die letzte verbliebene Synagoge. Die Reicher-Synagoge ist neben der 1998 neu eingeweihten Synagoge im Haus der Jüdischen Gemeinde in der Pomorska 18 die einzige in Łodz. Sie wurde von 1895 bis 1902 erbaut und ist die einzig erhaltene von ursprünglich mehr als 250 Synagogen in der Stadt, die 1939/1940 von den deutschen Besatzern zerstört worden sind, darunter die Großen Synagoge.

Leider ist auch mein Versuch, diese Synagoge anzuschauen erfolglos. Ich habe zwar die Adresse, kann auch auf dem Stadtplan und auf meinem Navi sehen, wo sie genau steht, aber ich finde keinen Weg zu ihr. Da wo mein Navi mich auf eine Nebenstraße verweis, gibt es keine Nebenstraße. Da die Synagoge ebenso wie einige, die ich in Berlin gesehen habe, in einem Hinterhof liegt, gibt es wohl nur ein Torzufahrt, allerdings sind alle, die in Betracht kommen verschlossen.

So endet mein Besuch bei den jüdischen Gedenkstätten und Überresten. Dennoch hat mich das Gesehene wieder sehre bewegt, auch nachdenklich gemacht und ich werde auf jeden Fall noch einmal nach Lodz zurückkehren und mir alles genauer anzusehen.

Fahrt zur Kziezy Mlyn

Meine Übersetzer-App gibt mir noch keine Auskunft, was sich hinter dem Namen verbirgt. Mlyn heißt auf jeden Fall Mühle. Eigentlich stand das Viertel schon gestern auf meinem Programm. Es wurde dann aber zu spät. Aber letztlich wollte ich doch noch mal dort vorbeischauen. Ksiezy Mlyn soll der größte Fabrikkomplex in Lodz gewesen sein. Er wurde geschaffen von Karl Scheibler aus Monschau. Hier befinden sich Fabrikgebäude, Arbeitshäuser, Paläste, Krankenhäuser und eine Feuerwache. Schließlich ist der Palast von Scheibler nun Sitz des Museums für Kinographie. Letzteren habe ich leider gar nicht zu Gesicht bekommen, weil es zu spät wurde. Hier daher nur einige Impressionen.

Fahrt durch die Manufaktura

Zur Mittagszeit hatte ich noch eine kurze Rundfahrt durch die Manufaktura gemacht. Hier einige Impressionen.

Berühmte Personen aus Lodz auf der Piotrkowska

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier die berühmten Persönlichkeiten aus Lodz die auf der Piotrkowska als Bronzeskulpturen verewigt sind

 

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