Heute also Ruhetag. Ich schlafe auch nicht viel länger als sonst, aber es ist auch mal ganz schön, nach dem Aufstehen nicht gleich an die Organisation des Aufbruchs zu denken. So lasse ich mir Zeit, frühstücke in aller Ruhe und da das Wetter nicht sehr einladend ist, lege ich mich noch einmal auf mein Bett und lese zwei Stunden. An Literatur habe ich mir nichts Aufregendes mitgenommen, weil eigentlich habe ich ja schon Aufregung genug. Deshalb kamen zum Beispiel Krimis gar nicht in Frage. Vor der Vorstellung einsam in der Wildnis in einem Zelt zu üernachten und einen Krimi zu lesen hat mir doch gegraut. So lese ich zurzeit einen Roman über Alma Mahler-Werfel, in dem sie als Muse von Wien dargestellt wird. Sie war dreimal mit bedeutenden Männern verheiratet, zunächst mit dem Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler, dann mit dem Bauhaus-Architekten Walter Gropius und schließlich mit dem Schriftsteller Franz Werfel. Trotz des interessanten Lebens dieser sehr talentierten aber auch widersprüchlichen Frau sicher kein Buch, das einen in Aufregung versetzt.
Mittags wurde es mir in meiner 4 qm großen Hütte dann doch etwas zu eng und es zog mich hinaus. Ich radelte in das etwa 5 Kilometer entfernte Suomussalmi, dass wie so viele Orte hier relativ gesichtslos ist. Es finden sich einige Supermärkte, zwei Tankstellen und mehrere Schnellimbisse. Natürlich gibt es auch noch andere Geschäfte, weil die Orte ja eine große Fläche abdecken müssen, mit allem, was der Mensch so zum leben braucht. Auch Menschen wohnen hier im Hauptort. Aber wie wir es ja schon aus anderen Gemeinden kennen, sind doch viele der wenigen Einwohner auf das ganze Gebiet der Gemeinde verstreut. Mit einigen Fotos versuchte ich ein wenig von der Atmosphäre dieses Ortes einzufangen. Kulturell steht der Ort ganz im Zeichen des Winterkrieges von 1939/40. Hier werde ich morgen noch die Gedenkstätten auf meiner weiteren Tour aufsuchen. Sie befinden sich nicht im Ortszentrum, sondern auch dieser Ort ist doppelt so groß wie das Saarland und das gesamte Gebiet war wohl seinerzeit Kriegsgebiet. Hier wird an vielen Stellen des Heldenmuts und des Kampfgeistes der finnischen Soldaten gedacht, denn obwohl sie natürlich gegen die Übermacht der Roten Armee letztlich keine Chance hatten, haben sie der Sowjetunion verheerende militärische und Niederlagen beigebracht, die wohl mehrere Hunderttausend Opfer auf sowjetischer Seite forderten. Letztlich haben diese Heldentaten aber auch den Zusammenhalt der Finnen und das Identitätsgefühl gestärkt, mit dem es nach der Unabhängigkeit und dem Bürgerkrieg zwischen Roten und Weißen nicht so weit her war. Inzwischen ist man auch soweit, dass man das Gedenken dieses Krieges auch den ehemaligen Kriegsgegnern zugesteht. So finden sich hier auch Denkmäler der Russen und der Ukrainer, die damals wohl die Hauptkontingente bei dem Angriff der Roten Armee bildeten.
Übrigens interessant ist wie man diesen Winterkrieg und die finnischen Heldentaten hervorhebt und würdigt und wie wenig dann die beiden anderen Kriege, in die Finnland während des 2. Weltkriegs verwickelt und beteiligt war, zwar nicht verschweigt aber nicht weiter thematisiert. Nach dem Verlust eines großen Teils Kareliens an die Sowjetunion beklagten die Finnen, dass sie keinerlei Unterstützung von den Westmächten erhalten hatten und verbündeten sich daher 1941 mit dem nationalsozialistischen Deutschland um ihre abgetretenen Gebiete wiederzubekommen. Die Finnen waren also diejenigen, die den deutschen Angriff auf die Sowjetunion seinerzeit aus Eigeninteressen unterstützten. Es war tatsächlich so, dass es hier nicht um ideologische Nähe ging, sondern um eine teilweise Parallelität von Interessen. So hatte man vereinbart, die Verteidigung Nordfinnlands der Wehrmacht zu übertragen, die daraufhin über 30.000 Soldaten insbesondere in Lappaland stationierte. Die Beteiligung an dem Angriff auf die Sowjetunion führte dann aber auch dazu, dass Großbritannien nun Finnland den Krieg erklärte. Allerdings war dies wohl mehr ein symbolischer Akt, da nach der Kriegserklärung keine nennenswerten Militäraktionen Großbritanniens gegen Finnland erfolgten.
Durch den gemeinsamen Angriff auf die Sowjetunion gelangte Finnland wieder in den Besitz der nach dem Winterkrieg an die Sowjetunion abgetretenen Teile Kareliens. Als dann sich das Kriegsglück wendete und die Sowjetunion 1944 mit einer Großoffensive begann, die Finnland erheblich in Bedrängnis brachte, konnte Finnland, gegen den Willen des Deutschen Reiches, einen Waffenstillstand mit der Sowjetunion erreichen, der für Finnland aber die Verpflichtung enthielt, die in Lappland stationierten Einheiten der deutschen Wehrmacht durch finnische Truppen zu bekämpfen. Damit kam es für Finnland nun zum dritten Krieg in dieser Zeit, dem Lapplandkrieg. Der Verpflichtung zur Bekämpfung der Deutschen kamen die Finnen zunächst nur zögerlich nach bzw. taktierten noch weiter mit der deutschen Seite. Nachdem sie aber von der Roten Armee mehrfach unter Druck gesetzt wurden, vermehrten sie die Angriffe auf deutsche Wehrmachtseinheiten. Diese antworteten mit der Taktik der verbrannten Erde, in dem ganze Dörfer, Häuser, Brücken und Straßen zerstört oder vermint wurden, was den Vormarsch der finnischen Verfolger stark verlangsamte. Dennoch gelang es den Finnen unter massiven Druck der Sowjetunion, die Deutschen bis zum Frühling 1945 aus Finnland zu vertreiben, was man dann als Befreiung Finnlands von den deutschen Truppen propagierte.
So viel zu den doch recht interessanten Begebenheiten und Verstrickungen Finnlands während des 2. Weltkrieges. Auch heute noch streiten übrigens die Historiker darüber wie man die Rolle Finnlands in der damaligen Zeit interpretieren sollte. Aber die Finnen scheinen zumindest eins auch für sich begriffen zu haben. Während man auf die Rolle der Finnen im Winterkrieg stolz sein kann, besteht dafür sowohl für den Fortsetzungskrieg als auch für den Lapplandkrieg keine Veranlassung. Morgen nun werde ich aber erst einmal die Straße der finnischen Heldentaten im Winterkrieg 1939/40 genauer anschauen.
Tagesdaten: 30,77 Km; 02:39:04 Std. Fz.; 11,60 Km/h; 210 Hm