22. Tag (29. September 2021):Von Plock nach Wloclawek (Leslau)

Nach einem bescheidenen Frühstück im Green Hotel packe ich mein Gepäck auf mein Fahrrad und radle los. Bevor es wieder auf die andere Seite der Weichsel geht, fahre ich noch einmal hinunter an den Hafen. Von hier hat man einen schönen Blick auf die Kathedrale und das Schloss. Das Wetter ist in den letzten Tagen immer freundlicher geworden und auch heute verabschiede ich mich bei blauem Himmel aus Plock. Die Temperaturen steigen heute auf um die 20 Grad. Vom Hafen aus fahre ich dann zu der Straßen- und Eisenbahnbrücke über die Weichsel. Hier ist ein enger Seitenstreifen sowohl für Fußgänger als auch für Radfahrer ausgewiesen, der mit Leitplanken von der Straße her abgeschirmt ist. Die Fahrradfahrer müssen ihr Rad allerdings schieben, was ich vernünftig finde. Von der Brücke aus hat man einen noch schöneren Blick auf Plock.

Die nächsten ca. 25 Kilometer auf der anderen Seite der Weichsel muss ich leider auf der N 62  bis Nowy Duninow fahren. Nicht gerade angenehm aber nicht zu ändern. Ich fahre übrigens fast die gesamte heutige Strecke entlang eines Stausees zu dem die Weichsel hier aufgestaut wurde. Man sieht das freilich nur daran, dass die Weichsel noch etwas breiter geworden ist. Der Staudamm und das dazugehörige Wasserkraftwerk wurden in den Jahren 1963 bis 1970 gebaut. Die Staumauer befindet sich aber erst kurz vor Wloclawek. Da werde ich nicht vorbeikommen. Kurz hinter Nowy Duninow mache ich einen Stopp an einer Raststätte und stärke mich mit ein paar Pelmeni. Dann geht es von der N 62 ab und nach einigen hundert Metern, sehe ich zum ersten Mal seit etwa 550 Km wieder ein Radwegzeichen des Weichselradwegs. Hier beginnt er also wieder…. und führt nach etwa zwei Kilometern auf eine Sandpiste, auf der man öfter und längere Zeit das Fahrrad schieben muss. Insofern ist der weitere Weg nach Wloclawek recht mühsam. Dennoch treffe ich am frühen Nachmittag dort ein. Mein heutiges Hotel ist das Riverside Hotel. Wie der Name schon zum Ausdruck bring liegt es recht nahe am Ufer der Weichsel. Es macht einen recht noblen Eindruck und ist auch etwas kostenintensiver als meine sonstigen Unterkünfte. Aber auch über 46 Euro kann man sich nicht wirklich beklagen.

Tagesstrecke: 59,60 Km

 

Spaziergang durch Wloclawek

Nachdem ich eingecheckt und mein Zimmer bezogen hatte, mache ich mich auf, um die Stadt ein wenig zu erkunden. Wloclawek ist nur wenig kleiner als Plock und hat etwa 108 Tsd. Einwohner. Beide Städte leiden in den letzten Jahrzehnten unter einem Einwohnerschwund. Wloclawek schaut aber auf eine interessante Geschichte zurück. Im 11. Jahrhundert entstand an der Weichsel eine Siedlung, die seit 1123 der Sitz eines dem Erzbischof von Gnesen unterstellten Bistums ist und 1261 die Stadtrechte nach Kulmer Recht erhielt. Aus der Zeit stammt auch der deutsche Name Leslau. Ab dem 15. Jhdt. blühte der Getreidehandel, bis die schwedische Invasion 1657 die Stadt zum Teil zerstörte. Nach der Zweiten Teilung Polens fiel Włocławek 1793 an Preußen, nach dem Frieden von Tilsit 1807 an das Herzogtum Warschau. Nach dem Wiener Kongress 1815 wurde die Stadt Bestandteil des neu gebildeten, zu Russland gehörigen Kongresspolens. Włocławek wurde schon früh zu einer Industriestadt mit bekannten Unternehmen. Im Ersten Weltkrieg befand sich der Industriestandort im Oktober 1914 im Frontbereich und erlitt infolge der Kampfhandlungen erhebliche Schäden. 1918 kam die Stadt zur neu gebildeten polnischen Republik. Die Stadt gehörte während des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) zum Reichsgau Wartheland im Deutschen Reich. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem ein Drittel der Stadt zerstört wurde, folgte in den Nachkriegsjahren der Wiederaufbau von Fabriken und Werkstätten. Chemische Erzeugnisse sowie die Möbel- und die Nahrungsmittelverarbeitung entwickelten sich bis heute zu den wichtigsten Industriezweigen der Stadt. Seit 1969 besitzt die Stadt eine Schleusenanlage, die den Wasserstand der Weichsel reguliert.

Vor dem historischen Hintergrund findet man auch hier viele deutsche Spuren. Erste Spuren der deutschen Gemeinschaft in Włocławek sind mit den Stadtrechten nach Kulmer Recht, dem Deutschen Orden und der bekannten Kathedralschule, die auch der Astronom Nikolaus Kopernikus besuchte, verbunden. In der Stadt gibt es viele Werke deutscher Künstler, wie von Veit Stoß und Hans Meyer im Maria-Himmelfahrt-Dom, von Albrecht Altdorfer und Heinrich Aldegrever in den Kunstsammlungen im Museum des Kujawier und Dobriner Landes sowie Werke von Albrecht Dürer und Augsburger Juwelierarbeiten im Diözesanmuseum. Für die Geschäfte der Włocławeker Kaufleute spielten Hansestädte – besonders Thorn und Danzig – eine herausragende Rolle. Die Evangelisch-Augsburgische Gemeinde Włocławek zeugt von der Ansiedlung deutscher Protestanten seit dem 16. Jahrhundert. In Włocławek gab es seit dem 19. Jahrhundert einige große Unternehmer deutscher Herkunft. Namhafte Persönlichkeiten der Gesellschaft dieser Zeit waren Julian Balthasar Marchlewski, Mitbegründer des Spartakusbundes in Deutschland, und Marie Steiner-von Sivers, Anthroposophin und Schauspielerin. Marcel Reich-Ranicki, Publizist und Literaturkritiker, verbrachte hier seine Kindheit. In den Jahren 1939–1945 hieß die Stadt Leslau an der Weichsel.

Erste Station auf meinem Spaziergang durch Wloclawek ist die unweit des Hotels gelegene schon äußerlich beeindruckende Kathedrale Mariä Himmelfahrt. Sie hat also den gleichen Namen wie die in Plock. Der noch unfertige Ursprungsbau der heutigen Kathedrale wurde am 13. Mai 1411 feierlich in Anwesenheit von König Władysław II. Jagiełło geweiht. Der Bau wurde in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit den Arbeiten an den Kapellen um den Hauptkörper der Kirche fortgesetzt. Neben dem südlichen Schiff wurden 1527 die Kapelle St. Martin und Kapitelhaus und 1541 die Cibavit-Kapelle gebaut. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden diese beiden Kapellen im Stil des Manierismus umgebaut und mit einer Kuppel mit Laterne bedeckt. Im Laufe der Zeit wurde der Dom renovierungsbedürftig. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das Dach renoviert, während im 19. Jahrhundert die Kathedrale regotisiert wurde. Bischof Wincenty Teofil Popiel wollte die Kathedrale monumentaler gestalten und beschloss, die Türme zu vergrößern. Das ist ihm zweifellos gelungen. Die Arbeiten begannen 1878. Die erhöhten Türme wurden mit spitzen Helmen abgeschlossen.

Der Gang durch die Kathedrale ist sehr beeindruckend. Bei den Glasfenstern soll es sich um die ältesten in Polen handeln. Ansonsten ist man zunächst durch die Farbenpracht der Innenbemalung überwältigt, die aber vom Stil her vielen Kirchen, die im 19. Jhdt. restauriert wurden, entspricht. In der Kathedrale soll sich auch das Grabdenkmal für Bischof Piotr von Bnin von Veit Stoß befinden, das ich allerdings nicht gefunden habe. Außerhalb der Kathedrale werfe ich noch einen Blick auf die manieristische Kapelle der Heiligen Jungfrau Maria, die außen im späten neunzehnten Jahrhundert rekonstruiert wurde. Die Sonnenuhr soll von Nikolaus Kopernikus stammen. Vor der Kapelle steht ein Denkmal des polnischen Primas Kardinal Stefan Wyszyński. Dreht man sich um, schaut man auf das Priesterseminar (ältestes Seminar in Polen, 1569 gegründet, früher die Kathedralschule) und die Sankt-Vitalis-Kirche. Hier soll, sicher ist das allerdings nicht, Nikolaus Kopernikus in den Jahren 1488–91 gewohnt haben. Die St.-Vitalis-Kirche im Stile der Backsteingotik ist eine der ältesten Kirchen in Polen.

Von hier gehe ich in die Innenstadt bis zur Plac Wolnosci, wo man leider noch deutliche Spuren von Verfall und Restaurationsbedarf sehen kann. Der Platz macht mit seinen bunten Blumenrabatten einen sehr gepflegten Eindruck. Der Blick darauf wird jedoch durch die teilweise sehr dominante sozialistische Zweckarchitektur getrübt. Zurück gehe ich über die Hauptmagistrale der Stadt, die Brzeska. Hier geht es vorbei am Franziskanerkloster, wo ich einen kleinen Rundgang über das Gelände mache. Der Franziskaner Kirchen- und Klosterkomplex aus dem Jahr 1639-44 ist im Barockstil erhalten und hat noch die ursprüngliche Ausstattung, die ca. 1768 von Künstlern und Handwerkern aus Włocławek gefertigt wurde. Nur durch eine Straße getrennt steht die evangelische Kirche, die in den Jahren 1877-1881 als neugotische Kirche auf dem Platz der ehemaligen hölzernen Kirche errichtet wurde. Nach einigen hundert Metern biege ich dann zum Altmarkt ab, der seinem Namen noch alle Ehre macht. Bevor man ihn erreicht, geht man durch die Tumska und stößt auf zahlreiche verfallende Häuser. Der Altmarkt selbst hat eine stattliche Größe, die ihn umgebenden Häuser sind ordentlich restauriert. Zentraler Blickfang des Platzes ist die Kirche „Heiliger-Johannes-der-Täufer“. Sie ist eine spätgotische Kirche mit Renaissance- und Barockelementen (erstes Gebäude im Jahre 1560). Die erste katholische Kirche entstand hier schon im 13. Jahrhundert. Die Kirche steht unweit des Weichselufers und so wundert es nicht, dass sie mehrmals durch Überschwemmungen zerstört wurde. Leider ist sie bereits beschlossen. Aber durch ein Gittertor kann ich dennoch ein Blick hineinwerfen.

Der Altmarkt grenzt unmittelbar an die Weichsel. Von hier gehe ich über den Marschall-Piłsudski-Boulevard die Weichsel entlang in Richtung meines Hotels. In der entgegengesetzten Richtung kann ich in der Ferne die Staumauer des Włocławskie-Stausee sehen. In meiner Richtung sticht vor allem der Bischofspalast aus dem Jahre 1861 im klassizistischen Stil ins Auge. Durch einen  Unterhaltungspark, dessen Unterhaltungswert ich nicht ganz erkennen kann, aber vielleicht bin ich auch schon zu spät dran, gelange ich dann zurück zu meinem Hotel. Im Hotelrestaurant lasse ich dann bei Hähnchenbrust mit gebackenen Kartoffeln den Abend ausklingen.

 

Schreibe eine Antwort

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.