23. – 25. Tag: 10. – 12. Mai 2023 – Bialowieza

Ich hatte mir schon vor längerer Zeit überlegt, hier in Bialowieza eine längere Fahrradpause einzulegen, um auch mal wieder etwas mehr zu wandern und an meinen Reiseberichten zu arbeiten. Leider ist das Internet hier in meiner gemütlichen Unterkunft nicht optimal. Ich werde also überlegen, ob ich meine Buchung bis übermorgen wie beabsichtigt noch mal um zwei Tage verlängere und bis Sonntag hier bleibe. Heute morgen funktionierte das Internet gut und erst gegen Mittag verhielt es sich wieder sehr störrisch. Wenn das so bleibt kann ich zumindest am Vormittag drei bis vier Stunden an meinen Berichten arbeiten. Da hat das störrische Internet dann auch seine Vorteile, weil es verhindert, dass ich den ganzen Tag vor dem Computer sitze.

An den Daten diese Berichts kann man erkennen, dass ich insgesamt drei Tage in Bialowieza verbracht habe und dann am Samstag weiterfahre.

Erkundung von Bialowieza

Wie gestern schon habe ich auch heute noch einmal den Ort selbst erkundet. Wie schon gesagt, ist hier die polnische Armee recht präsent, aber nicht störend. Im Gegenteil fühlt man sich dadurch eher wohler hier in der Grenznähe zu Belarus. Diese Präsenz ist wohl der aktuellen Lage geschuldet. Die Grenze zu Belarus liegt gerade einmal ein bis drei Kilometer vom Ort entfernt. Auch im Ort laufen viele Soldaten rum, die Einkäufen, Spaziergängen oder sonstigen Dingen nachgehen. Fast kann man sagen, dass sie den Ort im Moment dominieren, weil kaum Touristen da sind.

Letzteres musste ich dann auch bei der Touristeninformation schmerzlich feststellen. Eigentlich wollte ich natürlich auch eine Tour durch den Nationalpark machen. Das ist aber nur geführt möglich und da keine Touristen da sind, müsste man für die Tour mehr als das Zehnfache zahlen als wenn man sie mit neun weiteren Touristen macht. Das ist mir dann doch zu teuer und so wichtig finde ich es auch nicht, mir wild lebende Bisons anzuschauen.

Bialowieza ist vor allem durch die Jagdleidenschaft der polnischen Könige seit dem 15. Jhdt. entstanden. Bereits im Jahre 1409 ging der polnisch-litauische König Władysław Jagiełło in den dichten Wäldern bei Białowieża zur Jagd. Seit dieser Zeit wurden die Wälder geschützt, um sie als Jagdrevier zu erhalten. Das im Jahre 1541 erlassene Jagdprivileg zum Schutz des Wisents verbot die Abholzung. Den polnischen Königen und Fürsten folgte der russische Zar als Jagdherr. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Wälder zum Reichsjagdgebiet der Nationalsozialisten, nach 1945 trafen sich die Mitglieder der sozialistischen Nomenklatura dort zur Jagd. Das heutige Zentrum von Bialowieza war wohl seit dem 19. Jhdt. sehr stark durch das dort von Zar Alexander III. in Auftrag gegebene und dann zwischen 1884-89 erbaute Zarenschloss geprägt. Leider ist das Schloss nicht erhalten geblieben. Es wurde 1944 von den deutschen Besatzern zerstört. Heute befindet sich an seiner Stelle ein Museumsgebäude mit einem Hotel. An die Zarenzeit erinnert noch der damals ebenfalls extra für die Besuche des Zaren und seines Gefolges gebaute Bahnhof, dessen Portal und Bahnsteige noch heute vorhanden sind und in dem ein Restaurant im Empire-Stil untergebracht ist. Einige der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Bialowieza sind neben dem Bialowieza-Urwald, die Europäische Bison-Reservation, der Bialowieza-Nationalpark, das Natur- und Forstmuseum im Bialowieza-Nationalpark. Es gibt auch eine katholische Kirche, die St. Theresa Kirche, und eine orthodoxe Kirche, die Kirche des Heiligen Nikolaus.

 

Spaziergänge im Bialowieza-Urwald

Die Geschichte des Bialowieza-Urwalds reicht zurück bis ins Jahr 8.000 vor unserer Zeitrechnung Er sei damit „das einzige erhaltene Beispiel der ursprünglichen Wälder, die einst fast ganz Europa abdeckten“, heißt es als Begründung für den Status des UNESCO-Welterbes. In all den Jahrhunderten überließ man den Wald weitgehend sich selbst. Das Wahrzeichen der Puszcza Białowieska ist der Żubr (Wisent). Er gilt als größtes und schwerstes Land-Säugetier in Europa. Männliche Tiere können bis fast eine Tonne wiegen. Die pflanzenfressenden Wisente waren im Mittelalter in weiten Gebieten von West-, Zentral- und Südosteuropa verbreitet.

In den Urwäldern rings um Bialowieża zählte man zu Beginn des Ersten Weltkrieges noch rund 700 Exemplare. Deutsche Truppen und Wilderer dezimierten danach die Bestände. Der letzte in Freiheit lebende Wisent wurde 1919 von Wilderern erlegt. Doch schon wenige Jahre später begann man mit der Wiederansiedelung der Tiere .

Der Botaniker Władysław Szafer erreichte bereits 1921, dass in der Puszcza Białowieska ein Waldreservat eingerichtet wurde. Ab 1929 begann man dort mit der Wiederansiedlung des Wisents. Damals gab es in Europa nur noch 54 Tiere in zoologischen Gärten oder im Privatbesitz. Der Zuchtbetrieb begann mit dem Bullen Borusse aus Deutschland und der Wisent-Dame Biserta aus Schweden. Die ersten reinrassigen Wisente wurden 1952 in die freie Wildbahn entlassen. Heute leben wieder mehr als 500 Tiere im Nationalpark. Waldemar erzählte mir, dass das eigentlich viel zu viele für dieses Gebiet sind.

Ansonsten ist der Bialowieza-Wald Lebensraum von Wisenten und Wölfen, Rot- und Schwarzwild. Seit 1979 zählt der Urwald an der Grenze zu Weißrussland zum Weltnaturerbe der Unesco und wurde zum Biosphärenreservat erklärt. Ich mache hier in den Tagen meines Besuchs zwei Spaziergänge. Der eine heißt etwa effekthaschend übersetzt in etwa Königlicher Eichenweg der andere etwas bescheidener Zbra Zubra, was etwa Bisonrippenweg heißt und eine Anspielung auf den über weite Strecken über Eichen- und Eschenbohlen führenden Weg bedeutet. Diese Spaziergänge erinnern mich etwas an Erfahrungen mit Amerika. Der königliche Eichenweg ist gerade einmal einen Kilometer lang und man muss 10 PLN zahlen, um hier „wandern“ zu können. Der Rippenweg ist kostenfrei ist aber auch nur etwa 2,5 Kilometer lang, aber da man ihn auch wieder zurückgehen muss, kommt man immerhin auf fünf Kilometer.

Zum Schluss noch eine sehr aktuelle Geschichte zum Bialowieza-Urwald. Im Mai 2016 gab das polnische Umweltministerium unter Leitung von Jan Szyszko (PiS) Pläne bekannt, 188.000 m³ Holz zwischen 2012 und 2021 im Forstbezirk Białowieża zu fällen. Zuvor war im gleichen Zeitraum eine Menge von 63.471 m³ vorgesehen. Die Entscheidung rief Protest bei polnischen und internationalen Umweltschutzverbänden hervor. Auch Vertreter der EU äußerten ihre Besorgnis. Das Ministerium begründet die Forstmaßnahmen mit der Ausbreitung von Buchdruckern, einer Art des Borkenkäfers. Der gehört allerdings aus Sicht der Umweltverbände schon immer zum Ökosystem vor Ort. Szyszko stellte gleichzeitig fest, dass in der Umgebung ein Mangel an Brennholz herrsche, „während aus Belarus dreckige Kohle importiert werden muss.“

Die EU-Kommission ordnete im August 2016 eine Untersuchung über die Holznutzungspläne an. Am 27. April 2017 übermittelte die EU-Kommission ein offizielles Mahnschreiben an Polen. Am 13. Juli 2017 gab die EU-Kommission bekannt, dass sie Polen wegen des Holzeinschlags vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verklagt und eine einstweilige Anordnung zur Einstellung des Holzeinschlags beantragt. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs „kam extrem schnell, und sie hatte Seltenheitswert“, schrieb der Spiegel. Am 20. Juli 2017 verfügte der EuGH den sofortigen Stopp der Abholzung im Białowieża-Urwald. Die Richter befürchteten laut Medien, dass dem Unesco-Weltnaturerbe noch vor dem endgültigen Urteil ein irreparabler Schaden zugefügt werde.

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs bestätigten im November 2017 ihr Urteil: Polen muss die aktive Bewirtschaftung des Waldes von Białowieża sofort einstellen. Es wurde eine Konventionalstrafe für die Republik Polen in Höhe von 100.000 Euro pro Tag angedroht, an dem weiter eingeschlagen wird. Es war das erste Mal, dass der EuGH bereits im Eilverfahren mit Zwangsgeldern drohte. Im April 2018 bestätigte der EuGH die Position der EU-Kommission, dass die Rodungen illegal seien. Der seit Januar amtierende polnische Umweltminister Henryk Kowalczyk erklärte, Polen werde das EuGH-Urteil respektieren.

Eine deutsche Fernseh-Dokumentation (2017) belegte die Ansicht der Naturschützer, dass es der Forstverwaltung und der konservativen Regierung nicht um eine Bekämpfung des Buchdruckers gehe, da die befallene und abgeschälte Rinde der geschlagenen Bäume nicht verbrannt wird und sich daher der Käfer weiterhin ausbreiten kann. Die benachbarte Bevölkerung in der strukturschwachen Region steht mehrheitlich auf Seiten der Regierung und fürchtet um ihre Arbeitsplätze in der Waldwirtschaft. Anwohner und Regierung kriminalisieren die Naturschützer, die sich an Forstmaschinen ketten, um die Abholzung zu verzögern. Ob die polnische Regierung sich tatsächlich an das Urteil des EuGH hält, scheint auch inzwischen wieder umstritten. Für sie hat der Populismus sicher Vorrang vor dem Umweltschutz.

Der Königliche Eichenweg

Der königliche Eichenweg zeichnet sich wohl dadurch aus, das hier wohl das ursprüngliche Jagdgebiet der polnischen Könige war und man bei archäologischen Forschungen vor einigen Jahren wohl auch entdeckt hat, dass hier seinerzeit ein Jagdschloss gestanden haben muss, das aber abgebrannt ist und dessen Reste sich die Natur nun nach mehreren hundert Jahren zurückgeholt und einverleibt hat. Auf dem Weg werden dann alle 50 bis 100 Meter auf Plakatständern die polnischen Könige vorgestellt, die hier wann und wie oft in zum Jagen waren. Die Geschichte zeigt aber auch, dass der Ort Bialowieza an seiner heutigen Stelle erst später entstanden ist. Meine Vermutung ist, das dies vor allem in der Zeit des Sohnes Augusts des Starken als sächsischer Kurfürst, Großherzog von Litauen und polnischer König August III. gewesen sein könnte. In Bialowieza findet sich nämlich eine Säule, die in polnischer und deutscher Schrift auf die Jagderfolge Augusts III. verweist. So wird schon in der älteren Literatur betont, dass er gern große Jagden veranstaltete aber auch  häufig in die Oper ging und sich um seine umfangreichen Kunstsammlungen kümmerte, also nicht gerade für sein Regierungstalent gewürdigt wurde. Das scheint die neuere polnische Forschung etwas anders zu sehen. Jacek Staszewski betont dagegen auch, dass August III. ein sehr fleißiger und umsichtiger polnischer König gewesen sei.

Der Rippenweg

Hier gibt es wenig zu erzählen. Ich kann nur hoffen, dass die Fotos einen Eindruck vermitteln.

 

Grenzerfahrungen

Einen Ausflug mache ich am letzten Tag noch zur zur Grenze nach Belarus. Ich möchte mir schon anschauen, wie die Grenzsicherung zur EU nun tatsächlich aussieht. Ich wüsste zwar vor dem Hintergrund der Erfahrungen keine Alternative, aber dennoch ist es kaum nachvollziehbar, was hier geschieht. Europa igelt sich im wahrsten Sinne des Wortes ein. Auch das ist natürlich mit europäischem Recht nur schwer zu vereinbaren. Was macht man aber schließlich, wenn der Nachbar mit Angriffen droht und als Waffe sogar Flüchtlinge an die Grenzen zur EU transportriert.

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