Der Schock musste erst einmal bewältigt werden. Am nächsten Morgen zeichnete sich in meinem Kopf aber eine mögliche Lösung ab. Da die Züge in Rumänien nur sehr unzuverlässig Fahrräder mitnehmen und Fernzüge wohl überhaupt nicht, beschloss ich es doch noch mal mit dem Bus zu versuchen. Zumindest flixbus schien ja den Busbahnhof von Tulcea anzufahren. Ich vergewisserte mich zunächst, dass dies auch heute der Fall war. Grundsätzlich nimmt flixbus ja auch Fahrräder mit. Allerdings nicht immer und angeblich nur auf einem außen montierten Fahrradträger. Problematisch wird es, wenn man schon beim Fahrkartenkauf abgewiesen wird, sobald man die Fahrradmitnahme ankreuzt. So war es leider bei mir für die Fahrt von Tulcea aus. Also schätzte ich die Risiken ab. Noch nie hatte ich davon gehört, dass man bei den großen Fernbussen wegen eines Fahrrads abgewiesen wurde. So buchte ich lediglich eine Fahrkarte für mich und eine für 1 Zusatzgepäck. Da die Buchung der Fahrradkarte etwas kompliziert ist, hoffte ich mich so herausreden zu können, dass ich eben gedacht hätte, bei meinem Fahrrad handle es sich um Zusatzgepäck. So wartete ich den Tag denn wieder ins Ungewisse. Ich hatte aber mein Zimmer vorsichtshalber noch für eine weitere Nacht gebucht, falls wieder etwas dazwischenkommen sollte. So konnte ich dann auch tagsüber noch auf meinem Zimmer ruhen, was mir auf jeden Fall gut tat.
Um 20:15 Uhr kam dann wieder ein Kleinbus von Eurolines mit zwei Fahrern aber ohne Gepäckanhänger. Diesmal warteten noch zwei andere Fahrgäste auf den Bus. Als die Busfahrer mein Fahrrad sahen, machten sie kein sehr einladendes Gesicht und der Ältere von beiden sprang heraus und gestikulierte mit erhobener Stimme wohl nicht ganz unzutreffend, dass der Transport nicht für Fahrräder vorgesehen sei. Ich hob meine Hände und versuchte ein trauriges Gesicht zu machen und faltete dann meine Hände bittend zusammen. Die beiden Fahrer prüften dann Möglichkeiten, mein Fahrrad auf der sehr schmalen verbliebenen Ladefläche des Kleinbusses unterzubringen, die aber platzmäßig nun wirklich nicht ausreichte. Dann nahm der Ältere von den beiden mein Fahrrad und wuchtete es in den schmalen Mittelgang wo ohnehin schon die Koffer der anderen beiden Passagiere standen und ich ihm auch meine Fahrradtaschen reichen konnte. Offensichtlich war es nicht so ungewöhnlich, bei diesen Fahrten das Gepäck im Mittelgang zu lagern. Viel mehr Möglichkeiten bietet ein solcher Kleinbus auch nicht. Und offensichtlich war dies auch ein Zeichen dafür, dass man nicht mit allzu vielen weiteren Fahrgästen rechnete. Sonst hätte man wohl doch einen Gepäckanhänger mitgenommen. Auf jeden Fall war ich mit samt meinem Fahrrad erst einmal im Bus und schnaufte durch. Bis Bukarest würde ich nun auf jeden Fall kommen. Allerdings fragte ich mich schon wie viele Passagiere der Bus noch aufnehmen könnte, nachdem durch das Gepäck der übrigen Fahrgäste aber insbesondere durch mein Fahrrad etwa zehn der zwanzig Plätze unzugänglich waren. Immerhin sollte es noch über Constanta, Cernavoda und zwei andere Orte gehen. Diese Kleinbusse werden wohl als Zubringerbusse eingesetzt und sammeln die Passagiere an verschiedenen Orten auf, um sie dann nach Bukarest zu bringen, wo man in die großen Flixbusse einsteigt. Zu meiner Überraschung merkte ich aber bald, dass der Bus überhaupt nicht Kurs nach Constanta nahm, sondern den direkten Weg nach Bukarest fuhr.
So verkürzte sich auch unsere Fahrtzeit trotz zweier längerer Pausen enorm. Statt gegen 3:30 Uhr waren wir bereits um 1:45 Uhr in Bukarest am Autogara Militari, was so viel wie militärische Busstation bedeutet. Militärisch sah das Gelände zwar nicht mehr aus, aber recht dunkel und einsam. Hinter einer Schranke standen aber mehrere Dutzend große Busse, darunter auch einer der grünen Flixbusse. Unsere Fahrer ließen uns aussteigen und reichten uns unser Gepäck und verließen uns dann recht schnell, wohl erfreut, dass sich ihr Arbeitstag durch die direkte Strecke verkürzt hatte. Neben uns Dreien aus Tulcea standen noch drei andere Männer auf dem Platz. Eine Verständigung war zumindest für mich nicht möglich, weil, obwohl sie wohl alle nach Deutschland wollten, niemand Deutsch oder Englisch sprach.
Nach etwa 1 ½ Stunden wurde es jenseits der Schranke etwas belebter. Lichter gingen an und ein Mann mit Warnweste öffnete die Schranke und winkte uns in den Busbahnhof. Von der anderen Seite belebte sich der Bahnhof nun auch mit zahlreichen weiteren Fahrgästen und ich hatte schon Befürchtungen, dass wenn die alle mit „meinem“ Bus mitfahren wollten, es sicher eng für mein Fahrrad werden würde. Gott sei Dank erwies sich meine Befürchtung zunächst aber als unbegründet, denn nach und nach standen schließlich vier Flixbusse da, die offensichtlich alle in Richtung Deutschland fuhren, was man auf Schildern hinter den Windschutzscheiben dann näher studieren konnte. Der von mir bis Dresden gebuchte Bus fuhr über Berlin nach Hamburg, ein anderer fuhr über Frankfurt nach Dortmund, ein Dritter über Saarbrücken nach Brüssel und ein Vierter schließlich über München nach Italien.
Das Beladen überließ man hier den Passagieren und so legte ich mein Fahrrad in eine der großen Gepäckablagefächer, die in diesen Fernbussen unterhalb der Fahrgastkabine liegen. Ich hatte den Eindruck, dass die erste Crew unseres Busses nicht sonderlich erfahren war. Sie kontrollierten zwar mein Ticket aber um das Fahrrad kümmerten sie sich nicht. So hatte ich aber nun meinen Sitzplatz bis Dresden sicher, was mich ungemein beruhigte und zufriedenstellte. Gegen 3:45 Uhr ging es dann los. Nun lagen noch einmal über 25 Stunden Busfahrt vor mir. Die vier Busse fuhren übrigens durch ganz Rumänien im Korso und es ging tatsächlich durch ganz Rumänien. Da es in Bukarest noch dunkel war, konnte man leider wenig sehen. Allerdings macht die Stadt an einigen Stellen einen durchaus sehr modernen Eindruck mit Hochhäusern, Hochstraßen, architektonisch ins Auge springenden Brücken und Plätzen. Die dunkleren Stellen blieben freilich im Dunkeln verborgen. Auf der weiteren Route durch Rumänien waren Brasov, Sibiu (Hermannstadt), Orastie und Arad die wichtigsten Stationen. Es ging sozusagen durch das Zentrum des heutigen Rumäniens, durch Siebenbürgen oder Transsilvanien wie die Rumänen es nennen und als es hell wurde und die Sonne erstrahlte war es eine wunderschöne Fahrt durch eine der Kornkammern Europas begrenzt durch die Karpaten, deren noch immer schneebedeckten Gipfel man in der Ferne immer wieder erblicken konnte. Es ist eine schöne Landschaft, die durchaus sehr einladend wirkt. Mir scheint Rumänien ist durchaus eine Reise wert!
Erfreulich war, dass die Busse immer wieder eine Pause von einer viertel bis einer halben Stunde einlegten und dass es an diesen Rastplätzen auch immer Toiletten und Kioske gab. Weniger erfreulich war, dass immer mehr Passagiere zustiegen und der Bus aber auch die Gepäckladeflächen immer voller wurden. Eine inzwischen neue und professioneller wirkende Fahrercrew war damit beschäftigt, die Gepäckstücke möglichst so geschickt zu deponieren, das alles auch hineinpasste. Dabei lag natürlich mein Fahrrad immer mehr im Wege. Als ich mich dann veranlasst sah, mir selbst mal ein Bild zu machen, meinte der gerade agierende Fahrer, dass er noch 9 € von mir bekomme. Da dies der Preis für einen offiziellen Fahrradtransport war, bestätigte ich das widerspruchslos, wobei ich ihm dann schließlich das Geld fast aufdrängen musste, weil er darauf nicht mehr zurückkam.
Ich hatte mich gut mit Getränken und Proviant eingedeckt, so dass ich lediglich auf die Toiletten angewiesen war. Dennoch konnte ich mich an einem Cevapcici-Stand bei Orastie dann doch nicht enthalten. Die Cevapcici wurden frisch gegrillt und fanden großen Anklang und Absatz. Es waren recht große Exemplare, sicher so etwa 200 Gramm schwer, so dass ich schwankte, ob ich mir zwei oder drei gönnen sollte. Das Stück übrigens für umgerechnet 0,60 €. Ich entschied mich für drei, bekam aber dann doch nur zwei, was ich als eine Entscheidung einer höheren Macht akzeptierte und der festen Überzeugung bin, dass es natürlich eine bessere Entscheidung für mich war als meine eigene.
Die Route führte dann noch durch Ungarn, die Slowakei und Tschechien. An der ungarischen Grenze dauert es dann wieder einige Zeit bis wir passieren können. Die Pässe werden eingesammelt und kontrolliert. So war es in Ungarn schon wieder Abend und wurde auch bald dunkel, so dass man in den weiteren Ländern wenig von der Gegend, durch die wir fuhren, mitbekam. Ich erinnere mich noch an die Straßen von Bratislava und den Hauptbahnhof in Prag. Budapest hatten die Busse vorher umfahren. Trotz zweier Nächte fand ich auf der gesamten Tour nur wenig Schlaf. Das geht mir auf solchen Fahrten aber immer so, so dass ich auch nichts anderes erwartet hatte. Dennoch war ich eher überrascht darüber wie gut ich die doch recht lange Tour verkraftet habe. Natürlich war ich dann sehr froh als wir auf die Minute pünktlich um 5 Uhr Dresden erreichten. So bekam ich noch den IC 20 Minuten später und war schon um 6:25 Uhr in Leipzig und um 6:45 Uhr bereits zu Hause, wo mich Heidrun schon mit einer Tasse Kaffee erwartete, bevor sie sich auf den Weg in ihr Büro machen musste. So kam ich dann mit einem Tag Verspätung aber dennoch sehr glücklich wieder zu Hause an.