Heute bleibt also die Biala Wiselka und der Weg auf die Barania Gora. Zunächst stärke ich mich aber an einem typischen und reichhaltigen polnischen Frühstücksbuffet. Hier gibt es immer mehr als man je verkraften könnte und so werde ich durch die Frühstücke in Polen trotz Fahrradanstrengungen sicher wieder ein oder zwei Kilo zunehmen. Neben Brot, Wurst und Käse gibt es diverse Frischkäsezubereitungen, Spiegel- und Rühreier, Eiersalat, warme Würstchen, heute sogar deftige Knackwürste, geschnittene Tomaten, Tomaten mit Mozzarella, Gurken- und Radieschenscheiben, Paprikasticks, saure Gurken, Lachs, frisches Obst, Kuchen, Joghurt und natürlich auch Müsli, Orangensaft, Kaffee und Tee. Nicht so gern scheinen die Polen Marmelade zum Frühstück zu essen. Hier ist das Angebot recht dünn. Aber was solls. Das Übrige kann man ohnehin nicht alles zu sich nehmen. Mein Standard zum Frühstück sind zwei Brötchen, ein eher dunkles mit Wurst und Käse und ein eher helles mit Marmelade. Dazu nehme ich natürlich heute, nachdem mich Justyna, die Frau von Pawel, eindringlich befragt hat, zwei Spiegeleier und anschließend probiere ich auch den köstlichen Eiersalat, den vorzüglichen Pflaumenkuchen mit Streusel, eine der Frischkäsezubereitungen und zum Schluss noch etwas Obst. Ich merke natürlich schon, dass ich mich etwas überfressen habe und hoffe nur, dass der Weg auf den Barania Gora heute ausreichend Kalorien verbraucht. Zwischen ihrer Bedienung der Gäste, hält Justyna noch mit jedem ein Schwätzchen. Pawel hat ihr wohl erzählt, dass ich vorhabe die ganze Weichsel entlang zu fahren. Sie erzählt, dass sie zwar schon von einigen Polen gehört habe, dass sie die Weichsel entlang gefahren sind, aber noch nie von einem Nichtpolen. Dann gibt sie mir noch gute Tipps, für die Fahrt und den Aufstieg zum Barania Gora.
Der Tag ist heute für die vor mir liegende Tour eigentlich wieder viel zu schön, zumindest was die Temperaturen betrifft, die wieder bis auf 30° ansteigen sollen. Nach dem Frühstück packe ich meinen kleinen Rucksack mit dem Notwendigsten, insbesondere 1,5 l Mineralwasser und schwinge ich mich auf mein Fahrrad. Ich muss etwa 10 Kilometer fahren bis der Aufstieg beginnt. Es geht wieder über die Mauer des Stausees. Dahinter gelangt man gleich an die Mündung der Biala Wiselka in den Stausee und ich lege einen kleinen Stopp ein um die Sicht zu genießen. Danach geht es auf einer asphaltierten Straße bergauf. Zu meiner Überraschung und Freude ist die Steigung aber doch um einiges moderater als gestern. Während gestern der Weg entlang der Czarna Wiselka Steigungen von 5 bis 10 Prozent hatte, sind es heute nur 3 bis 7 Prozent. Der kleine Unterschied macht die Fahrt doch erheblich angenehmer. Die Straße führt direkt entlang des Flüsschens vorbei an einigen kleinen Wasserfällen und schrägen Felsformationen, die dem Flussbett ein etwa merkwürdiges Aussehen verleihen, weil der Fluss hier den Eindruck mach als sei er etwas abgerutscht. Offensichtlich sind es härtere und weichere Gesteine, die den Fluss dann die weicheren Gesteine bevorzugen lassen. Flüsse suchen sich immer den Weg des geringsten Widerstands, auch wenn es oft nach Jahrmillionen gar nicht den Eindruck macht.
Nach etwas mehr als 10 Kilometern gelange ich an den abzweigenden Weg, von dem aus man zum Gipfel des Barania Gora gelangt. Hier weiterzufahren wäre mit meinem Reiserad ziemlich unmöglich und ich glaube selbst Mountainbiker bekämen hier Probleme. Es ist von Beginn an ein sehr felsiger und steiniger Weg. So suche ich einen Platz, wo ich mein Fahrrad sicher abstellen kann. Obwohl doch zahlreiche Menschen unterwegs sind, gibt es hier keinen Parkplatz mehr. Sie sind entweder mit dem Bus gekommen oder mussten etwa 5 Kilometer laufen. Da ich eine relativ lange stabile aber auch schwere Kette habe, kann ich mein Fahrrad an einer Leitplanke anschließen und mich dann auf den Weg machen. Natürlich prägen auch mich zumindest im Inneren noch Vorurteile, ob ich das in Polen tun und mein Fahrrad sozusagen als Blickfang für jeden Vorbeikommenden hier stehen lassen sollte. Danach setzt aber doch wieder mein Verstand ein. Zum einen habe ich in Polen bisher nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ich habe keinerlei Erfahrungen, dass Fahrzeuge in Polen unsicherer abgestellt sind als in Deutschland. Das mag in den 1990er Jahre noch anders gewesen sein. Aber ich glaube, dass die Polen dies überhaupt nicht mehr nötig haben. Natürlich gibt es hier wie in jedem anderen Land auch Formen von organisierter Kriminalität. Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass mein Abstellort für eine wie auch immer organisierte Bande von Kriminellen von Interesse sein könnte und jemand angesichts des Publikumsverkehrs auf die Idee käme, hier die Kette meines Fahrrads aufzubrechen. Also mache ich mich doch recht beruhigt auf den Weg.
Vor mir liegen nun knapp 5 Kilometer und 500 Höhenmeter bis ich den Gipfel des Barania Gora mit seinen 1220 Metern Höhe erreiche. Der Weg ist durch seinen felsigen und steinigen Untergrund etwas beschwerlich. Ich gehe entsprechend langsamer habe aber ansonsten keine Probleme und freue mich, dass meine Kondition offensichtlich noch nicht zu wünschen übrig lässt. Natürlich steigert es mein Selbstwertgefühl, dass ich einige Gleichaltrige und Ältere und sogar Jüngere auf dem Weg überhole. Vom Weg aus hat man an verschiedenen Stellen phantastische Aussichten über die Beskiden. So ist es verständlich, dass die Beskiden offensichtlich ein beliebtes Touristenziel vieler Polen ist. Ausländische Touristen sieht man hier allerdings selten. Das hatte ich schon daran gemerkt, dass man in den Gaststätten keine anderssprachigen Speisekarten findet.
Nach etwa 1 1/2 Stunden erreiche ich den Gipfel, genieße die Aussicht, stärke mich mit meinem mitgebrachten Studentenfutter und hatte Gottseidank die anderthalb Liter Mineralwasser eingepackt, die man bei der Hitze und dem damit verbundenen schweißtreibenden Aufstieg auch gut gebrauchen kann. Danach schaue ich mich noch etwas auf dem Gipfel um. Eine Berghütte gibt es hier oben nicht. Dafür gibt es einen Aussichtsturm, der über einem Denkmal für die polnischen Partisanenkämpfer errichtet wurde. Das Denkmal erinnert an polnische Partisaneneinheiten der polnischen Nationalarmee, die in den Jahren 1943-1945 in den Beskiden gegen die deutschen Besatzer und in den Jahren 1945-1947 als antikommunistische Partisanengruppe für ein freies und unabhängiges Polen kämpften. Den Turm steige ich natürlich noch hinauf und der Blick schweift damit noch mehr in die Ferne.
Nach etwa einer Stunde mache ich mich auf den Rückweg und steige wieder hinab. Der Weg ist nun zwar nicht mehr so schweißtreibend, aber ein Abstieg erfordert angesichts des Untergrunds doch noch mehr Konzentration als der Aufstieg. Zeitlich ist er zu meinem Erstaunen auch nicht viel kürzer. Ich komme auf jeden Fall gut wieder unten an und freue mich natürlich, mein Fahrrad noch unversehrt und vermutlich unberührt wieder anzutreffen. Die Rückfahrt ist recht gemütlich, es geht immer nur bergab und da die Straße durchgehend asphaltiert ist, ist es ein angenehmes Fahren. Kurz vor meiner Unterkunft mache ich noch einen Stopp vor einem Lebensmittelladen und erstehe zwei Dosen Bier und etwas Schokolade. Zurück in der Willa Jodla genieße ich dann erst einmal eine nicht allzu warme Dusche und nachdem ich mich etwas erfrischt und ausgeruht habe, verspüre ich trotz des üppigen Frühstücks ziemlichen Hunger und gehe hinüber in das Restauracja Oro. Heute nehme ich keine Pizza, sondern genehmige mir nach einer vorzüglichen Suppe ein großes Rindersteak mit Farmerkartoffeln und gebratenem Gemüse. Köstlich! Zum Schluss gönne ich mir auch noch ein Tiramisu. Das Ganze plus ein Bier für den für polnische Verhältnisse stolzen Preis von 100 Zloty (23,63 €). Nach diesem köstlichen Abendessen trolle ich mich zurück in mein Quartier und trotz einer sich anbahnenden Bettschwere mache ich meinen Status auf WhatsApp, gönne mir dazu ein letztes Bier und blicke auf einen sehr schönen Tag zurück.
Tagesdaten: 21,87 Km; ca. 300 Hm mit dem Fahrrad – 12,81 Km und ca. 500 Hm zu Fuß