38. Tag: 16. Mai 2019 – Ibaneta-Pass – Roncesvalles

Heute soll erst einmal der letzte schönere Tag sein. Ab morgen ist für die dann folgenden drei Tage Regenwetter angesagt. So frage ich mich heute wie ich den Tag noch einmal am besten gestalten könnte. Da kommt mir die sicher für die meisten verrückt anhörende Idee, den Ibaneta-Pass und nach Roncesvalles ohne Gepäck hochzufahren. Es ist sozusagen die erste Etappe des Jakobsweges und gilt als eine der schwersten, weil es erst einmal von 190 Metern hier unten in Saint-Jean-Pied-de-Port auf 1060 Meter hoch geht. Da ich mich inzwischen recht ausgeruht fühle, gehe ich die Sache an. Vor allem will ich wissen, ob er tatsächlich so schwierig ist. Immerhin gibt das Höhenprofil meines Navisystems Komoot teilweise 15 % Steigung an. Das würde schieben bedeuten.

Die Strecke bis Roncesvalles ist etwa 26 Kilometer lang und es geht auf der Hauptstraße Richtung Pamplona entlang. Es gibt noch einen anderen Weg, der ist aber nur für Fußpilger geeignet und nicht zum Radfahren. Nach dem ausgiebigen Frühstück, das ich mir nun selber machen kann, geht es mit kleinem Gepäck los: Werkzeug, Regenjacke, etwas Proviant für unterwegs und natürlich ausreichend Wasser. Zunächst kann ich feststellen, dass das Verkehrsaufkommen geringer ist als befürchtet. Natürlich fahren auch einige Lastwagen hier. Es sind übrigens meistens Viehtransporte nach Spanien und Heu- bzw. Strohtransporte nach Frankreich. Auch von Massen an Pilgern kann ich nichts feststellen. Unterwegs begegnet mir ein Radfahrer, der offensichtlich auch auf Tour ist, mich aber wegen meines geringen Gepäcks offensichtlich nicht für gesprächswürdig hält. Zur Strafe überhole ich ihn. An Pilgern zu Fuß begegne ich etwa einem halben Dutzend. Meistens übrigens Frauen und Männer meines bzw. mittleren Alters (also etwas jünger als ich!). Einer jungen Studentin aus Stuttgart begegne ich auch.

Die ersten 10 Kilometer der Strecke sind völlig unproblematisch. Auf ihnen komme ich gerade einmal 150 Meter höher. Allerdings geht es auch öfters auf und ab, was mich natürlich etwas ärgert. Nach etwa 8 Kilometern überfährt man bei Arnéguy die spanische Grenze. Sichtbarstes Zeichen ist lediglich, dass der Weg nun nicht mehr nach Ronceveaux und Pampeluna führt, sondern nach Roncesvalles und Pamplona. Danach wird die Strecke steiler, aber zu meiner großen Erleichterung geht es an keiner Stelle über 8 % hinaus. Das heißt, das kann ich, wenn ich gut genug drauf bin, auch mit Gepäck ohne Schieben bewältigen. Da ich bei solchen Bergfahrten nicht den Drang verspüre, möglichst schnell hinaufzukommen, reduziert das natürlich meine Durchschnittsgeschwindigkeit. Aber ich komme auch meist relativ entspannt oben an. So erreiche ich die Passhöhe des Ibuneta nach genau 3 Stunden und 8 Minuten und habe es mit 8,2 Km/h geschafft. Für mich ist das zufriedenstellend. Mal sehen wie es am Montag mit Gepäck wird.

Oben angekommen steht man vor der Capilla del Salvador, die den Beginn des spanischen Jakobsweges kennzeichnet. Die Kapelle ist inzwischen modern, wurde also im Laufe der Geschichte mehrmals zerstört oder fiel zusammen, aber immer wieder auch aufgebaut. Erwähnenswert ist noch das sogenannte Monumento a Roldán, also das Rolandsdenkmal. Es steht auf einer kleinen Anhöhe und ist ein etwas schmucklos und grob behauener Felsstein, auf dem sich der Name Roldán und die Jahreszahlen 778 und 1967 finden. Den, dem das Denkmal gewidmet ist, kennen wir alle, weil er als Roland vor einigen unserer Rathäuser steht. Was es mit ihm auf sich hat, wissen aber wahrscheinlich die wenigsten. Bis vor ein paar Tagen kannte ich den Zusammenhang auch nicht, warum er tatsächlich vor unseren Rathäusern steht, hat sich mir auch nach etwas intensiveren Recherchen noch nicht erschlossen.

Das, was ich herausgefunden habe, gebe ich hier natürlich gerne weiter. Die Jahreszahl 778 zeigt schon, dass es ziemlich lange her ist. Auf Hilfsbitten und der Zusage der Unterwerfung unter die Herrschaft Karls des Großen einiger hochrangiger Gesandter der arabisch beherrschten iberischen Halbinsel al Andalus gegen Umayyade Abd- ar-Rahman I., der nach Spanien geflohen war und dort mit Sitz in Cordoba eine vom neuen Kalifen von Bagdad unabhängige Herrschaft errichtet hatte, entschloss sich Karl der Große 778 zu einem Feldzug nach Spanien. Als Begründung dienten ihm arabische Überfälle. Der christliche König von Asturien betrachtete Karls Feldzug argwöhnisch und es ist nicht auszuschließen, dass er sich mit dem Emir von Cordoba verbündete. Lange Rede kurzer Sinn, der Feldzug geriet für Karl zu einem ziemlichen Fiasko. Als er dann auch noch erfuhr, dass die Sachsen wieder aufmüpfig wurden, trat er den Rückzug an.

Auf dem Rückzug ließ Karl Pamplona plündern und deren Mauern zerstören. Für dieses harte Vorgehen rächten sich die Basken. Es ist wohl inzwischen erwiesen, dass es tatsächlich die christlichen Basken und nicht die Mauren waren, die einen Teil des Heeres Karls des Großen in diesen Hinterhalt lockten. Im August 778 lauerten sie dem fränkischen Heer auf und fügten der Nachhut unter Leitung des fränkischen Adligen Hruotland (=Roland), Graf der bretonischen Mark, in der Schlacht von Roncesvalles eine schwere Niederlage zu, bei der dieser Hruotland getötet wurde. Warum sich daraus dann zahlreiche Epen und das in Deutschland bekannte Rolandslied des Pfaffen Konrad entwickelte, ist mir ebensowenig nachvollziehbar wie die Tatsache, dass dieser Roland nun als Statue vor mehreren deutschen Rathäusern steht. Tatsache bleibt aber, dass er ab dem 14. Jahrhundert, angeblich auch unter dem Einfluss Karls IV., zum Sinnbild für die Freiheit der Städte gegenüber den Teritorialfürsten herhalten musste.

Dies alles lese ich bei Wikipedia, während ich auf einer Bank auf der Passhöhe meine mitgebrachten Baguettes und zwei Bananen vertilge. Auch auf der Passhöhe sehe ich noch keine Pilgerströme. Die meisten, die hier rasten, sind Touristen mit Wohnmobilen. Auch eine Gruppe von Motorradfahrern schaut vorbei und schließlich kommt ein ziemlich erschöpfter Wanderer den Berg hinauf. Es ist Klaus aus Olpe, der offensichtlich ohne jegliche konditionelle Vorbereitung sich gestern auf Pilgerschaft begeben hat. Er bittet mich darum, ein Foto von ihm zu machen und ich bitte ihn dann auch um ein Foto. Da ich mir darauf ganz gut gefalle, habe ich es hier eingefügt.

Während meines Mittagsmahls habe ich mich entschlossen auch noch nach Roncesvalles zu fahren, das aber schon etwa 100 Meter tiefer liegt, die ich dann nachher wieder hochfahren muss. Es liegt nur 1,5 Kilometer von der Passhöhe entfernt. Insofern kommt man schnell hin. Auch in Roncesvalles sind die Pilgerscharen überschaubar. Etwa 30 Personen würde ich schätzen. Die meisten Männer sitzen in den hier vorhandenen Bars und lindern ihre Strapazen mit einem kühlenden Bier. Roncesvalles ist sozusagen die erste Station auf dem Jakobsweg mit einer inzwischen 900 jährigen Geschichte. Hier wurde das Hospital de Peregrinos also ein Pilgerhospiz von den Augustinern gegründet, das der Pilgerbetreuung diente. Hervorhebenswert sind noch die Iglesia Colegiata, die Königliche Stiftskirche, ein dreischiffiger gotischer Kirchenbau aus dem 13. Jahrhundert, der Notre Dame in Paris nachempfunden sein soll, was man aber von außen nicht feststellen kann.  Schließlich ist noch die Capilla del Espiritu Santo, also die Grabkapelle zum Heiligen Geist, erwähnenswert, eine romanische Kapelle aus dem 12. Jahrhundert, in der die Pilger begraben liegen, die die Überquerung der Pyrenäen nicht überlebt haben.

Ich schaue mir die Anlage von Roncesvalles lediglich von außen an. Sie ist auch gerade in Restauro. Mal sehen, ob ich am Montag zumindest in die Stiftskirche hineinschauen kann. Nach einer kurzen Besichtigung der Anlage, auch hier gibt es noch ein Denkmal zur Schlacht bei Roncesvalles im Jahre 778, mache ich mich auf den Heimweg. Die Abfahrt von der Passhöhe schaffe ich nun in der Hälfte der Zeit und bin eigentlich froh, dass ich diese Tour gemacht habe und damit weiß, was am Montag auf mich zukommt.

Tagesdaten: 55,32 Km; 04:58:47 Std. Fz.; 11,10 Km/h; 1141 Hm

 

Ein Kommentar

  • Heidemarie sagt:

    Lieber Wolfgang,
    habe mich ein wenig im Internet umgetan (analog war es mir leider nicht möglich) zum Zusammenhang zwischen den Rolandfiguren auf nord- und ostdeutschen Marktplätzen und dem Helden des Rolandliedes, bin aber leider auch nicht wirklich fündig geworden.
    Der Roland des „Chansons de Roland“, dem der Pfaffe Konrad und zahllose andere nachdichteten (was damals übliche Praxis war, kein Mensch redete da von Plagiat und so) war im Mittelalter ein außerordentlich beliebter Volksheld.
    Das Chanson besingt einen strahlend schönen, tapferen jungen Mann, stolz und unbeugsam bis in den Tod. Er trug das wundersame Schwert Durandal, in dessen Knauf sich sowohl ein Zahn des Apostel Petrus, Blut des Heiligen Basilius, ein Haar des Heiligen Dionysius und als höchste Steigerung noch ein Stück Gewand der heiligen Jungfrau befanden – ein wahrhaft heiliger Knauf also – das ihm Karl der Große geschenkt hatte. Dazu besaß er noch das gewaltige Horn Olifant (das aus einem Elefantenzahn gefertigt war) und kämpfte mannhaft gegen die Sarazenen. Als er trotz Schwert und Horn unterlag und mit verklärtem Blick stirbt, wird seine Seele vom Erzengel Gabriel und weiteren Himmelsboten ins Paradies geführt. Ein Märtyrer, ganz klar! Der große (wenngleich strategisch und taktisch offenbar nicht immer geschickte) Kaiser eilt herbei und schlägt natürlich die Sarazenen vernichtend (was, wie wir wissen mit der Realität nicht so ganz übereinstimmt). Schließlich muß er der Braut des Verblichenen dessen Tod mitteile, zweifellos eine schmerzliche Aufgabe und diese verstirbt dann vor Herzeleid, ein ebenfalls sehr beliebter literarischer Topos.
    Das Epos gehörte bald zu den beliebten Erbauungen und gerne lauschten auch die frommen Wanderer auf dem Jakobsweg
    des Abends in den Pilgerherbergen den Sängern, die vom tapferen Helden Roland berichteten, was seine Verbreitung sicher förderte.
    Zur Erbauung trug nicht unwesentlich bei, dass der Autor seine dichterische Freiheit genutzt und die rachedurstigen (unstrittig aber christlichen) Basken, die der Nachhut Karls des Großen bei Roncesvalles die vernichtende Niederlage zugefügt hatten, in Sarazenen und also Heiden verwandelt hatte, über die Karl natürlich gesiegt haben mußte. Somit eignete sich der Mythos prima als Propaganda für die Reconquista und später dann für die Kreuzzüge.
    Was allerdings gar nicht erklärt, was dieser Roland mit dem Marktrecht und der Gerichtsbarkeit zu tun hat und mit der Freiheit der Städte.
    1997 hat sich in der Zeitschrift forum historiae iuris Dietlinde Munzel-Everling mit dieser Frage beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rolandfigur ursprünglich als Symbol des (weltlichen) Kaiserrechts galt, das als Gottesrecht (offenbar sowas wie Naturrecht) verstanden wurde. Dieses Gottesrecht wiederum symbolisiere, so schreibt sie, das oben schon genannte Schwert Durandal, das Gott über Karl dem Roland verliehen habe. Da wir die Symbolsprache des Mittelalters nicht mehr verstehen, die vermutlich auch noch in anderen Beigaben zur Rolandsfigur zu erkennen wäre, bleibt diese uns notwendig etwas rätselhaft. Ganz befriedigt mich das nicht. Warum ausgerechnet Roland?
    Ich vermute mal, dass es sich ursprünglich um eine beliebige Ritterfigur handelte als Symbol der Wehrhaftigkeit, die man dann, weil Roland halt ein allgemein bekannter Held war, als Roland bezeichnete. Wehrhaftigkeit benötigten die Städte natürlich und wenn sie auf dem Schwert als Symbol des Gottesrecht bestanden, dann dürfte das auch ein stolzer (womöglich trutziger) Hinweis auf die Legitimität des Stadtrechts gewesen sein, das ja immer wieder von Kirche und Landesherren in Frage gestellt wurde.
    So viel (oder wenig) zum Roland als Symbol der Stadtfreiheit!
    Herzlichen Gruß
    Heidemarie

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