Man kann sich ja über eine längere Zwangspause in Wien eigentlich nicht wirklich ärgern. Zum einen bin ich ohnehin ein Fan der Secession, also des Wiener Jugendstils, zum anderen ist Wien einfach eine der imposantesten europäischen Hauptstädte. Verglichen damit war das preußische Berlin viel zu protestantisch. Hier schöpfte man nicht aus dem Vollen eines Kaiserreichs, sondern wurde erst ziemlich spät zum kleinen Kaiserreich, weil das große Österreich-Ungarn eben fehlte. Kurz zusammengefasst: Am Mittwoch machte ich einen langen Spaziergang durch den 1. Bezirk also die Wiener Alt- oder Innenstadt. Besichtigt habe ich erstmals das Secessionsgebäude von innen, also das Ausstellungsgebäude der Wiener Secession. Hier wollte ich insbesondere den berühmten Beethovenflies von Gustav Klimt mir einmal anschauen. Den Donnerstag verbrachte ich dann ebenfalls im 1. Bezirk, besuche aber vor allem die Albertina, eines der bedeutendsten Kunstmuseen der Welt, wo gerade eine Ausstellung zu Egon Schiele läuft. Heute am Freitag fahre ich dann nach Schönbrunn. Maria Theresia hat dieses Jahr 300. Geburtstag und das ist den Österreichern verständlicherweise eine ganze Kaskade von Jubiläumsausstellungen wert, die unter dem Motto Strategin, Mutter und Reformerin versuchen ein differenziertes Bild von Maria Theresia zu zeichnen und von denen eine auch in Schloss Schönbrunn in der Wagenburg unter dem Titel „Frauenpower und Lebensfreude“ stattfindet. Um es vorwegzunehmen: Diese Ausstellung fand ich enttäuschend, weil die Wagenburg dominierend bleibt und letztlich die Protagonistin der Ausstellung in den Hintergrund drückt. Sehenswert ist einzig der Begleitfilm, der das, was man mit der Ausstellung bezweckt, sehr schön und präzise beschreibt und veranschaulicht. Aber man geht natürlich eigentlich nicht in ein Museum, um einen Film zu sehen. Dazu kommt noch, dass man mir an der Kasse gleich die Seniorenkarte für die über 65-jährigen gab, ohne mich überhaupt nach meinem Alter zu fragen.
Auch den Besuch des Secessionsgebäudes fand ich relativ ernüchternd. Von Klimt habe ich eigentlich schon Ansprechenderes gesehen und den Bezug zu Beethoven wird man bestenfalls erschließen können, wenn man den Begleittext liest und glaubt. Schiele dagegen und die Albertina waren ein Erlebnis. Ich beschränke mich auf Schiele, obwohl die Dauerausstellung zur klassischen Moderne von Monet bis Picasso auch sehr sehenswert ist. Nach wie vor würde ich mir keinen Schiele ins Wohnzimmer hängen wollen, aber meines Erachtens gehört er dennoch zu den ganz Großen der Moderne und im Besonderen der Wiener Moderne des beginnenden 20. Jahrhunderts. So wurde er auch als der legitime Nachfolger des Anfang 1918 verstorbenen Gustav Klimt und als Leitfigur der Wiener Moderne angesehen. Allerdings waren ihm da auch nur noch einige Monate beschieden. Er wurde mit 28 Jahren am 31. Oktober 1918, an dem Tag als der Kaiser abdankte, von der Spanischen Grippe dahingerafft, der drei Tage vorher schon seine im sechsten Monat schwangere Frau Edith zum Opfer gefallen war. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: „Der Krieg ist vorbei, und ich muss gehen …“ Übrigens hat die damalige Grippeepidemie mehr Menschen dahingerafft als der 1. Weltkrieg, was keine Entschuldigung des 1. Weltkriegs ist, aber die Dimension dieser Epidemie verdeutlicht. Die Ausstellung versucht mit der mit Schiele verbundenen Obszönität und Erotik, gar Pornographie aufzuräumen und sieht Schiele als jemanden, für den die Einsamkeit des Individuums im Mittelpunkt seines Schaffens stand und die Obszönität nur ein Ausdrucksmittel dieser Einsamkeit sein soll. Bei vielen seiner Bilder hat man tatsächlich den Eindruck, dass diese Einschätzung einiges für sich hat.
Insofern hat sich der Zwangsaufenthalt in Wien durchaus gelohnt. Was wichtig ist, inzwischen ist auch mein Fahrrad wieder repariert und so kann ich morgen dann wieder die Donau hinab in Richtung ihrer Mündung radeln. Die Tage in Wien hatten es übrigens in sich. Die Temperaturen stiegen immer weiter. Heute betrugen sie 28 Grad. Also rief ich den Notfall aus und bekleidete mich mit einer kurzen Hose. Morgen sollen die Temperaturen aber um 10 Grad zurückgehen. Wien lasse ich nun einfach mit einer Bildergalerie vorbeiziehen.
Lieber Wolfgang,
danke für die ausführliche Berichterstattung und die tollen Bilder von Wien. Ich kenne leider nur den Flughafen, aber irgendwann ist im Rahmen meiner europäischen Hauptstadt Reisen Wien auch mal an der Reihe. Dafür kenne ich Bratislava ganz gut. Bratislava liegt ja nur 55 km von Wien entfernt und ich weiß jetzt nicht, ob das an Deiner Strecke liegt.
Ich wünsche Dir auf jeden Fall eine optimale Weiterfahrt ohne technische Ausfälle und mit möglichst viel Rückenwind.
Übrigens mit den kurzen Hosen gibst Du ein gutes Bild ab. Wenn es die Temperaturen erlauben, ist das doch durchaus angemessen. Bloß wenn dann noch weiße Socken und Sandalen dazukommen, dann gebe ich Dir recht. Aber das ist ja nicht der Fall.
Herzliche Grüße aus Chemnitz.
Regina