Tagesdaten: 57,19 Km
Das Wetter spielt weiter gut mit auf meiner Tour. Wieder ein herrlicher Tag mit wolkenlosem Himmel und spätsommerlichen Temperaturen. Ich habe sehr gut geschlafen, aber das Hotel heißt ja auch zur Erholung und hat damit seinem Namen alle Ehre gemacht. Das Frühstück ist ebenfalls ausgezeichnet. Ich werde nach besonderen Wünschen gefragt und bekomme zum Üblichen noch zwei Spiegeleier mit Schinken. Auch darf ich mir zwei Brötchen als Proviant einpacken. Heute fahre ich in den Harz. Mein Ziel ist der kleine Ort Elend, wo ich ein Zimmer in dem Hotel Waldmühle gebucht habe. Ich habe für zwei Nächte gebucht, weil ich morgen auf den Brocken fahren möchte. Insgesamt wird es eine relativ kurze Etappe. Vor mir liegen weniger als 60 Kilometer.
Von Brochthausen nach Walkenried
Mein einziges Zwischenziel ist heute Walkenried mit seinem 1127 von den Zisterziensern errichteten Kloster. Der Weg dorthin ist relativ ereignisarm. Kurz hinter Brochthausen fahre ich wieder über die Grenze nach Thüringen und bei Mackenrode geht es wieder nach Niedersachsen. Auffallend sind dann zahlreiche kleine Seen vor Walkenried. Wie ich später erfahre wurde die ursprünglich bewaldete Walkenrieder Sumpflandschaft ab dem 12. Jahrhundert durch die Mönche des anliegenden Zisterzienserklosters Walkenried in eine reichhaltige Teichlandschaft mit einem fruchtbaren Ackerland umgewandelt. 365 Teiche wurden von den Mönchen angelegt, um der Überlieferung nach für jeden Tag des Jahres einen Teich zum Abfischen zur Verfügung zu haben. Heute sind allerdings nur 50 davon nachweisbar. Einige der Teiche werden heute durch den örtlichen Sportfischereiverein bewirtschaftet.
Der Gebäudekomplex des Klosters umfasst die Ruine der Klosterkirche sowie das größtenteils erhaltene gotische Klausurgebäude. Dieses wurde 2006 zu einem Museum (Zisterziensermuseum Kloster Walkenried) ausgebaut. Seit 2010 gehört die Klosteranlage als Teil der Stätte Bergwerk Rammelsberg, Altstadt von Goslar und Oberharzer Wasserwirtschaft zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Die Blütezeit des Klosters war im 12. und 13. Jahrhundert. Es betrieb Bergbau und Verhüttung am Rammelsberg, bei Gittelde und im Harz. Neben der Agrarwirtschaft bildeten die Montanwirtschaft und später auch die Geldwirtschaft weitere wichtige wirtschaftliche Standbeine. Über zwei Jahrhunderte waren die Walkenrieder Mönche Berg- und Hüttenherren im Harz und besaßen umfangreiche Waldgebiete vor allem zur Herstellung von Holzkohle für ihre Kupferhütten. Das Kloster hatte sich zu einem mittelalterlichen Klosterkonzern entwickelt. Im 13. Jahrhundert lebten, beteten und arbeiteten rund 100 Chormönche und über 200 Konversen (Laienbrüder im Mönchorden) im Kloster. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten wurde das Kloster Walkenried zu einem der reichsten und politisch bedeutendsten Klöster des Reformordens der Zisterzienser. Dem entspricht, dass die gotische Klosterkirche, eine der größten Kirchen Norddeutschlands war. Sie wurde nach rund 80-jähriger Bauzeit im Jahr 1290 geweiht. Auch der Lesegang (der nördliche zweischiffige Kreuzgang) war fertiggestellt. Die gotische Klausur war nach rund 40 Jahren Bauzeit um 1330 vollendet.
Mitte des 14. Jahrhunderts begann der Niedergang. Das Walkenrieder Kerngeschäft Montanwesen stagnierte durch die Krise im Oberharzer Bergbau, zudem bekam die Agrarwirtschaft durch Pest und ökologische Probleme immer mehr Schwierigkeiten. Zur Kompensation der wirtschaftlichen Einschnitte verlegte sich das Kloster auf Zinswirtschaft. Der Konvent sank im Jahr 1509 auf das kanonische Minimum von 12 Mönchen und einem Abt. Die Klosterkirche wurde in den Bauernkriegen 1525 stark beschädigt. Mehrere hundert aufständische Bauern stürmten das Kloster und brachten den hölzernen Dachreiter der Klosterkirche zum Einsturz, der daraufhin durch das Gewölbe fiel und ein Loch hinterließ, das nicht mehr abgedichtet wurde. Im Jahr 1546 trat das Ordenskapitel zur Reformation über. Mit der Gründung einer Lateinschule 1556 gab sich die Klosteranlage Walkenried eine neue Funktion.
1593 fiel Walkenried an die Herzöge von Braunschweig und Lüneburg. Der Domkonvent von Halberstadt belehnte 1593 die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg mit der Grafschaft Hohnstein. Damit fielen Klostergebäude, verbliebene Ländereien und Schutzherrschaft an die neuen Landesherren. Der evangelische Konvent bestand formal noch weiter, bis er 1648 aufgelöst wurde. Von 1557 bis zu ihrer Schließung im Jahr 1668 befand sich eine Lateinschule im Kloster. Nach ihrer Schließung wurde die Klosterkirche für rund 150 Jahre als Steinbruch genutzt und es wurden mehrere Gehöfte innerhalb der Kirchenruine errichtet. Nur die Klausur blieb fast vollständig erhalten. Der weitere Abriss der Kirchenruine wurde 1817 verboten. Im Jahr 1876 fanden Renovierungsmaßnahmen im Kreuzgang und in der Klausur statt.
Ich stelle mein Fahrrad in der Näher der Klausur ab und mache einen Rundgang durch das Gelände. Die Klosterkirche ist auch als Ruine noch sehr beeindruckend. Ich lese während des Rundgangs über die Geschichte des Klosters und bin doch sehr erstaunt, was die Mönche hier alles zustande gebracht haben. Auch kann man gerade hier in der Gegend schon auch mal darüber reflektieren, was die Durchsetzung der Reformation, trotz ihrer fortschrittlichen Bedeutung, in kleinen Bereichen doch auch zerstört hat. Nach meinem Rundgang setze ich mich noch auf eine Bank und verspeise das erste meiner mitgebrachten Brötchen.
Von Walkenried nach Elend
Eigentlich hatte ich gedacht die rund 30 Kilometer von Walkenried nach Elend würden unproblematisch verlaufen. Allerdings verfahre ich mich kurz hinter Walkenried, obwohl ich bisher den Wegweisern gefolgt bin. Doch plötzlich befinde ich mich mitten im Wald in einer Art Steinbruch. Es stehen auch Warnschilder da, die vor Sprengungen warnen. Da aber keine Aktivitäten zu erkennen sind und auch weit und breit niemand zu sehen ist, kümmere ich mich nicht weiter um die Warnungen, sondern suche einen Weg hinaus. Zurück möchte ich auf keinen Fall. Nach mehren vergeblichen Abläufen entdecke ich einen Weg außerhalb des bearbeiteten Geländes. Um auf ihn zu kommen muss man aber über Geröll und einige Felsbrocken rüber. Mit einem 27 Kg Fahrrad und etwa 10 Kg Gepäck ist das natürlich nicht ganz einfach. Also trage ich erst einmal mein Gepäck über die Hindernisse und wuchte dann auch mein Fahrrad laut fluchend hinüber.
Der Weg erwies sich dann aber auch nicht als mein ausgewiesener Fahrradweg, sondern als Wanderweg, der hier im Wald auch nicht einfach zu befahren ist. Nach einiger Zeit, passiere ich einige zerstörte Baracken und auch Fundamente von Steinhäusern und schließlich stehe ich vor einem Stein, der sich als Gedenkstein für die Opfer des KZ Ellrich-Juliushütte erweist. Ein Blick in den bikeline verweist auf den Gedenkstein und zeigt mir, dass ich mich sehr nah vor Ellrich befinden muss. Allerdings weiß ich immer noch nicht wie ich da hinkomme. Ich fahre einfach weiter getreu dem Motto irgendwo muss ein Weg ja hinführen. Tut er auch. Nach einigen Minuten stehe ich vor Eisenschienen. Es führt kein Übergang hinüber aber auf der anderen Seite ist ebenfalls ein Weg und ein Blick auf die Karte verrät mir, dass ich auf jeden Fall auf die andere Seite der Bahnlinie kommen muss. Also schaue ich nach links und rechts die eingleisige Bahnlinie entlang. Als ich weder etwas höre, was nach Zug klingt oder aussieht wuchte ich das Fahrrad samt Gepäck über die Schienen und fahre weiter als dann doch gerade ein Zug heran rollt. Aber ich bin ja schon in Sicherheit, auch wenn der Zugführer etwas irritiert guckt.
Lange Rede kurzer Sinn, nach einiger Zeit gelange ich doch wieder auf die Straße nach Ellrich, von wo aus ich den Weg zum Radweg wieder finde. Aber das verbleibende Stück des Weges nach Elend erweist sich auch nicht gerade als angenehm und ist ein ziemliches Elend. Zunächst geht es auf einer recht befahrenen Straße bis Hohegeiß, der erste Ort im Harz, den ich erreiche. Dann geht es aber noch einmal fast sechs Kilometer auf dem Kolonnenweg bis Sorge. Und da ich mich ja nun im Harz befinde geht es erst einmal steil bergauf und dann wieder steil bergab nach Sorge. Solche Steigungen und Gefälle sind auf dem Kolonnenweg ein besonderes Vergnügen wie man sich vielleicht vorstellen kann. Von Sorge geht es dann aber auf einer Kreisstraße entlang der Brockenbahn nach Elend.
Das Hotel Waldmühle ist sicher nicht das Highlight meiner bisherigen Unterkünfte. Der Wirt ist nicht gerade der dienstleistungsorientierteste und ist vor allem sehr erstaunt als ich nach einer Waschmaschine oder nach einer anderen Möglichkeit, Wäsche zu waschen, frage, weil ich das Bedürfnis verspüre nach neun Tagen mal wieder saubere Wäsche anzuziehen. Schließlich hat er aber ein Einsehen und dann auch eine Idee und bietet mir an, dass ich ihm die Wäsche in einem Beutel geben sollte und er würde seine Frau bitten, sie zu waschen. Ich nehme das Angebot natürlich dankend an. Das Abendessen im Hotel Waldmühle ist dann leider eine ziemliche Katastrophe. Es ist so geschmacklos, dass ich mich schon frage, ob ich mich mit Corona infiziert habe, weil ich nichts schmecke. Aber tatsächlich liegt es wohl an der Küche. Leider muss ich mich bei einem kleinen Abendspaziergang durch Elend davon überzeugen, dass es wenig Alternativen gibt und die haben morgen Ruhetag bzw. bleiben wie mein Hotel ja auch für Nichthausgäste verschlossen.
Lieber Wolfgang , immerhin habe ich mich schon bis zum 9. Tag deines Iron-Curtain Germany Radweges vorgearbeitet und ich muss gestehen, Du hast viel Historisches in großer Ausführlichkeit präsentiert. Aber was mir besonders gut gefällt ist die sehr persönliche Schilderung deiner emotionalen Wahrnehmungen, so z.B. die Querung der Eisenbahnschiene an einer dafür nicht vorgesehenen Stelle oder das Schleppen von 27 kg Fahrrad und 14 kg Gepäck über Felsen und Geröll. Das menschelt so richtig und ich denke an die eine oder andere Situation, die wir im Juni auf unserem teilweise identischen Weg mit dem Fahrrad nach Bremerhaven erlebt haben.
So, jetzt will ich Dir nur noch meine Bewunderung für diese Fleißarbeit aussprechen. Hättest Du das auch ohne Corona so ausführlich gemacht oder würdest Du stattdessen die nächste Tour planen?
Und dann werde ich mich dem 10. und den folgenden Tagen zuwenden. Liebe Grüße auch von Doris
Dein Werner