Der Tag beginnt grauer als erwartet. Eigentlich war Sonnenschein angekündigt, aber der ließ noch bis Mittag auf sich warten. Obwohl ich der einzige Gast in der Jugendherberge bin, ist um 7:30 ein Frühstücksbuffet angerichtet, was allen meiner Wünsche gerecht wird. Sogar frische Clementinen und Äpfel gibt es.
Nach dem Frühstück geht es dann nach Schöningen, zunächst zum Lidl, wo ich mir noch Brötchen, Bananen und Wasser kaufe und dann zu der Klosterkirche St. Lorenz, derentwegen ich in Schöningen Station gemacht habe. Das besondere an dieser Kirche, deren Bau auf das Jahr 1120 zurückgeht, ist die Ausrichtung der beiden Türme nicht nach Westen wie üblich, sondern nach Osten. Im Übrigen ist der heutige Zustand der Kirche das Resultat durchgreifender baulicher Veränderungen durch die Jahrhunderte hindurch. Von dem ursprünglichen, romanischen Ba sind nur noch Teile des Chores und des Querhauses erkennbar. Offensichtlich sind andere Teile der Kirche mehrfach durch Brände zerstört oder aufgrund statischer Probleme eingestürzt. Dies kam ja bei romanischen Bauten durchaus häufiger vor, weil die Statik weitgehend noch auf trial and error beruhte und sich erst im Laufe der Jahrhunderte tiefere Kenntnisse herausbildeten. So stammt denn ein stark verkürztes, spätgotisches Langhaus erst aus dem 15. Jahrhundert. Der weitere Westbau der Kirche kann als Verlängerung des Langhauses angesehen werden. Er ist allerdings erheblich gedrungener als das Langhaus. Hier sind zwei hintereinander liegende Räume mit dem Namen Himmel und Hölle, was auf die jeweilige Deckengestaltung zurückzuführen ist.
Sehenswert sind die Ausmalungen im Chor und Querhaus, die von dem Braunschweiger Hof- und Dekorationsmaler Adolf Qensen (1851-1911) ausgeführt und Motiven des Mittelalters nachempfunden wurden. Bei meinem Besuch ist gerade eine junge Restauratorin damit beschäftigt, die Restaurierung dieser Malereien vorzubereiten, denn diese sind nach nunmehr über 100 Jahren auch wieder restaurierungsbedürftig. Das zeigt, wie schwierig es ist, alte Malereien über Jahrhunderte hinweg zu erhalten. Im Innenraum der Kirche sind zehn geschnitzte Holzrelieftafeln sehenswert, die aus dem 15. Jahrhundert stammen und Szenen aus dem Passionszyklus darstellen.
Die Wirtschaftsgebäude des ehemaligen Klostergutes werden seit Anfang der 1990er Jahre wohl durch den St. Lorenz Golf- und Land-Club genutzt. Hinter dem Klostergelände erstreckt sich ein Golfplatz. Nach einer ausführlichen Besichtigung der Kirche und einem Rundgang um das Klostergelände mache ich mich auf den Weg nach Königslutter zum Kaiserdom. Zunächst geht es den Elm hinab und dann nach Westen. Da der Wind zwar nicht mehr stürmisch aber doch noch recht intensiv ist, reduziert das etwas mein Tempo. Dennoch, ich bin gut in der Zeit. In Süpplingen fällt mir eine Hinweisschild nach Süpplingenburg auf. Da der Kaiserdom in Königslutter das Grabgelege Kaiser Lothars III. von Süpplingenburg enthält, interessiert mich dieser Ort natürlich auch. Eine kurze Recherche ergibt, dass Lothar zwar nicht in Süpplingenburg geboren aber dort aufgewachsen ist und später auch seinen Stammsitz dort hatte. So nehme ich einen kleinen Umweg von sechs Kilometern gerne in Kauf, um mir einen Eindruck von diesem Ort zu verschaffen. Es ist ein recht unscheinbarer Ort und auch die Burg, die eine Niederburg gewesen sein muss, ist nicht mehr vorhanden. Einzig die romanische Burgkirche steht noch. Sie ist aber verschlossen. Man kann sich zwar bei einer nahegelegenen Adresse den Schlüssel holen. Aber leider treffe ich dort niemanden an. So muss ich mich mit einem Rundgang um die Kirche begnügen. Glaubt man den alten Plänen, kann die Burg nicht sehr groß gewesen sein, nimmt doch schon die Kirche gut ein Viertel der Grundfläche ein.
Nach Königslutter sind es nun noch einmal 10 Kilometer und der Wind weht mir wieder ziemlich steif ins Gesicht. Er hatte sich allerdings wohl vorrangig vorgenommen, die Wolken zu vertreiben. Kurz vor Königslutter bricht dann die Wolkendecke auf und die Sonne hervor. Nun wandelt sich der Tag in einen sehr schönen Frühlingstag. In Königslutter kehre ich erst einmal für einen Kaffee bei der einem EDEKA-Markt angeschlossenen Bäckerei ein und verzehre im Freisitz nun auch meinen mitgebrachten Proviant. Danach geht es zum Kaiserdom, den ich für mich alleine habe. Die Tatsache, dass er unbewacht aber geöffnet ist, macht deutlich, dass es hier wenige Kostbarkeiten gibt, die gestohlen werden könnten. Dennoch ist der Dom ein recht beeindruckendes Gebäude. Ähnlich wie die St. Lorenzkirche in Schöningen steht er an prominenter Stelle am Elm und ist weithin sichtbar. Er wurde 1135 von Kaiser Lothar III. als Benediktiner-Abteikirche und Grabgelege für sich und seine Familie gestiftet. Die Fertigstellung des Bauwerks erfolgte erst langen nach Lothars Tod und dem Übergang des Kaisertums auf die Staufer um 1170 unter Heinrich dem Löwen, dem Enkel Lothars III. Das Kirchengebäude ist eine kreuzförmige Pfeilerbasilika mit einem doppeltürmigen Westwerk und einem achteckigen Vierungsturm, die mit 75 Metern Länge und 18 Metern Höhe für die damalige Zeit enorme Ausmaße hatte. Der Kaiserdom von Königslutter galt zur damaligen Zeit als das größte Gebäude in Norddeutschland.
Während des Baus wurden die Baupläne wohl verändert, was vor allem daran lag, dass Lothar bereits 1137 verstarb und in der noch unfertigen Kirche beigesetzt wurde. Die schmuckreiche Ostpartie, die Lothar durch das Engagement lombardischer Steinmetze ermöglichte, wurde von den nachfolgend den Bau Betreuenden nicht fortgesetzt. Es erfolgte vielmehr eine Rückkehr zur lokalen Bautradition mit einem rechteckigen, niedersächsischen Westbau mit zwei Türmen. Zu den künstlerischen Highlights des Domes, die auf die Arbeiten der lombardischen Steinmetze zurückgehen, gehörten dann insbesondere das Löwenportal, der Jagdfries an der äußeren Fassade der Apsis mit seiner Szene des von gejagten Hasen gefesselten Jägers und die reich verzierten Säulen des Kreuzganges. Der damit verbundene Königslutterer Stil wurde später dann doch Vorbild bei weitere Kirchenbauten der Gegend.
Im Inneren der Kirche befindet sich an zentraler Stelle das Grab Kaiser Lothars, seiner Frau Richenza (+1141) und seines Schwiegersohns Heinrichs des Stolzen (+1139). Letzterer der Vater Heinrichs des Löwen, der wohl die Königs- und Kaiserkrone, die sein Schwiegervater ihm auf dem Sterbebett schon übertragen hatte, dadurch verlor, dass er durch sein überhebliches Auftreten der Zorn der übrigen deutschen Fürsten heraufbeschwor. Das Grabmal stammt übrigens erst aus dem 18. Jahrhundert. Die Gräber wurden öfters geöffnet, weshalb die Grabbeigaben auch bekannt sind und geborgen wurden, so beispielsweise den bleiernen Reichsapfel und eine Schrifttafel, die Lothars Tod und die damalige politische Situation beschreibt. Einige Grabbeigaben sind seitdem verschollen. 1978 wurde das Grab zum letzten Mal geöffnet und dabei die bleierne Krone aus dem Grab der Kaiserin Richenza geborgen.
Weitere Sehenswürdigkeit des Domes ist deren Ausmalung, die aber nach allem, was ich bisher diesbezüglich mitbekommen habe wie so oft erst aus dem 19. Jahrhundert stammt. Ende des 19. Jahrhunderts war die mittelalterliche Kirchenausmalung mit gelber Farbe überstrichen. Auf Anregung des Regenten des Herzogtums Braunschweig, Prinz Albrecht von Preußen, eines Neffen Kaiser Wilhelms I., wurde die Instandsetzung der Kirche beschlossen. Dazu gehörte auch die neue Ausmalung des Kircheninnenraums, die 1887 bis 1894 durch den schon aus Schöningen bekannten Braunschweiger Hofdekorationsmaler Adolf Quensen nach Entwürfen des Architekten und ersten Direktor des Germanischen Museums in Nürnberg August Essenwein (1831-1892). DSarunter auch Darstellungen Lothars III. und seiner Frau Richenza an zwei der Vierungspfeiler
Von 2002 bis zur 875-Jahr-Feier des Doms 2010 wurden umfangreiche Sanierungsarbeiten am Dom durchgeführt, so dass man ohne Übertreibung davon sprechen kann, dass er zu neuem Glanz erstrahlt. Das gilt insbesondere auch für die Malereien, die heute fast neu erscheinen.
Nachdem ich etwa 1 1/2 Stunden hier verweile und den Dom besichtige, geht es nun zu meinem heutigen Ziel zurück nach Braunschweig, wo ich wieder im Altstadthotel Wienecke eine günstige Übernachtung bekommen habe. Ich mache einen Zwischenstopp am Hauptbahnhof, um mir möglichst unproblematisch im Reisezentrum eine Fahrkarte für die Rückfahrt nach Leipzig zu beschaffen. Vor mir stehen noch drei andere Kunden. Es dauert aber geschlagene 35 Minuten, bis ich im Besitz der Fahrkarten bin. Als sich hinter mir schon eine Schlange mit etwa 10 bis 15 weiteren Kunden gebildet hatte, geruhte eine der drei Beraterinnen erst einmal in Pause zu gehen. So viel zum Dienstleistungsverständnis der Bahn. Den Abend lasse ich auch diesmal bei Braunkohl ausklingen.
Tagesdaten: 51,46 Km; 04:09:24 Std. Fz.; 12,38 Km/h; 259 Hm