18. Tag (15. August 2024) – Von Konin nach Wrzesnia

Tagesstrecke: 59,84 Km; 230 Hm; 15,20 Km/h

Heute gibt es über die Fahrt wirklich nicht viel zu erzählen. Nach einem für mich etwas spartanischen Frühstück, sitze ich bereits um 8 Uhr auf dem Fahrrad und mache mich auf den Weg. Es sollen heute über 30 Grad werden und vor mir liegen 60 Kilometer. Ich will also versuchen bis 12 Uhr in meiner nächsten Unterkunft in Wrzesnia zu sein. Mit dem Hotel habe ich ausgemacht, dass ich ab 12 Uhr einchecken kann.

Erst unterwegs empfinde ich eine merkwürdige Ruhe an diesem Tag. In Kawnice, dem nächsten Ort hinter Konin sehe ich eine Kirche, die mir recht gut gefällt und ich möchte sie mir von außen etwas genauer ansehen. Zu meiner Verwunderung stelle ich fest, dass sie schon offen ist und noch erstaunter bin ich, dass beim Blick durch die Tür das ganze Kirchenschiff voll besetzt ist und ein Gottesdienst stattfindet, der auch nach draußen übertragen wird, wo auch einige Frauen stehen und mich missbilligend anschauen als ich hier mit meinem Fahrrad zunächst munter herumkurve. Es ist auch kein Trauergottesdienst. Da wird mir dann klar, dass außer in Bayern und im Saarland natürlich auch in ganz Polen heute der Feiertag Mariä Himmelfahrt ist. Noch klarer wird es mir als ich bei Lidl vorbeifahre und sehe, dass auch er heute geschlossen ist. Wird also nur der Zapka bleiben, der offensichtlich immer offen hat.

Vielmehr gibt es nun wirklich nicht zu berichten. Ich komme noch an zwei Holzkirchen vorbei, verzichte jedoch auf eine nähere Besichtigung. Ansonsten geht es durch ein flache Landschaft wie in den vergangenen Tagen. Tiere auf Weiden habe ich heute keine gesehen. Vielleicht hatten sie auch Feiertag. Die letzten 27 Kilometer geht es auf einem straßenbegleitenden Fahrradweg entlang der Nationalstraße 92, die auch heute recht verkehrsreich ist, obwohl weniger LKWs unterwegs sind. Durch Wrzesnia fahre ich erst einmal durch. Meine Unterkunft liegt etwas außerhalb. In meiner Unterkunft, der Willa Wiosna, werde ich freundlich von einer Frau mittleren Alters empfangen, gönne mir erfreulicherweise ein Bier, dass sie mir anbieten kann und mache dann erst einmal Siesta in meinem sehr kleinen aber gemütlichem Zimmer. Nach der Siesta beginne ich meinen Bericht von heute und plane die letzten Stationen meiner Tour.

Am frühen Abend fahre ich dann noch in die Stadt zum einen, um ein Restaurant zu finden, wo ich zu Abend essen kann und zum anderen natürlich, um noch etwas von der Stadt zu sehen. Ersteres gelang sehr gut im Restauracjia Rynek, einem seht guten Lokal am Marktplatz.

Ich will hier nicht soweit in die Geschichte einsteigen. Aber ein historisches Ereignis sollte hier nicht verschwiegen werden. Mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 1807 und 1815 gehörte der damals so bezeichnete Ort Wreschen von 1793 bis 1920 zum Königreich Preußen. Großes Aufsehen erregte 1901 der Wreschener Schulstreik der Kinder gegen den Schulunterricht in deutscher Sprache. In den Anfangszeiten der preußischen Herrschaft war der Schulunterricht noch weitgehend in polnischer Sprache erfolgt. Deutsch wurde als Fremdsprache gelehrt. Die preußische Verwaltung hatte sich insgesamt erhebliche Verdienste bei der Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus erworben. So lag nach der Wiedergründung des polnischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg der Prozentsatz der Analphabeten in den ehemals preußischen Gebieten nahe bei Null, während er in den ehemals russischen Teilen Polens bis zu 30 % erreichte.

Vor allem unter dem Druck nationalistischer Interessengruppen, insbesondere des sogenannten Ostmarkenvereins, hatte die preußische Regierung jedoch ihre Politik gegenüber der polnischen Minderheit im Lande zunehmend verschärft, und die deutsche Sprache wurde zur verbindlichen Schulsprache, zuletzt im katholischen Religionsunterricht, was zu heftigen Protesten und zu Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Lehrpersonal führte. Von Wreschen ausgehend kam es zu einem wochenlangen Schulstreik polnischsprachiger Schüler, die damit gegen die Maßnahmen der preußischen Regierung protestierten. Ihre Eltern wurden von den deutschen Behörden mit Gefängnis bestraft. Der Streik, der sich auf benachbarte Orte ausbreitete und zu Verhaftungen führte, endete erst Ostern 1904. Zu den Höhepunkten des Streiks sollen 75.000 Schüler den Unterricht verweigert haben. Von der großen Mehrheit der Parteien im Reichstag wurde das Agieren der preußischen Regierung scharf kritisiert und als Bankrotterklärung deutsch-preußischer Kulturpolitik angesehen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung. Zahlreiche Industriebetriebe wurden errichtet; einer der größten Arbeitgeber war die auch in westliche Länder exportierende Lautsprecherfabrik Tonsil. Was die wirtschaftliche Entwicklung betrifft, scheint die Stadt mit ihren 31 Tsd. Einwohnern sich auch nach der Wende 1989 gut zu entwickeln. Im Zuge der politischen Veränderungen in Polen seit 1989 und dem Übergang von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft wurden zunächst viele Betriebe, darunter auch die Tonsil-Fabrik, geschlossen und rund ein Drittel der Einwohner wurde arbeitslos. Gegen Ende der 1990er-Jahre gelang es durch die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone, wieder Unternehmen am Ort anzusiedeln. 2016 entstand auf einem 220 ha großen Gelände am Stadtrand ein neues Werk der Volkswagen AG. Dort wird die zweite Generation des VW Crafter gefertigt. Die Fabrik soll bei einer jährlichen Produktion von 85.000 Fahrzeugen bis zu 3.000 Mitarbeiter beschäftigen.

Soweit nur zwei Schlaglichter auf Wrzesnia einst und jetzt. Meine Rundfahrt beschränkt sich auf den Marktplatz, das Rathaus und die Kirche der Himmelfahrt der Heiligen Jungfrau Maria und des Hl. Stanislaus des Märtyrerbischofs (Pfarrkirche) aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, die in den Jahren 1792 und 1881-87 umgebaut wurde. Hineinschauen kann ich natürlich heute nicht mehr, weil die Kirche schon verschlossen ist.

Damit endet meine Fahrt nach Wrzesnia und ich fahre zurück in mein Hotel.

Schreibe eine Antwort

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.