Erst um 18 Uhr fährt mein Bus vom Busbahnhof ab. Ich gehe davon aus, dass ich alles gut vorbereitet habe. Dennoch liegt noch der ganze Tag vor mir. Nach dem Frühstück mache ich noch einmal einen Spaziergang durch das Regierungsviertel. Dann versuche ich nach Möglichkeit zu schlafen bzw. zu ruhen. Der Bus soll 15 ½ Stunden unterwegs sein und wie ich mich kenne werde ich nicht groß im Bus schlafen. Aber auch jetzt tagsüber gelingt es mir kaum. Gegen 14 Uhr gehe ich noch einmal zum nahegelegenen IDEA Supermarkt und kaufe mir als Marschverpflegung eine 2 Literflasche Mineralwasser, ein Sandwich und zwei Bananen. Übrigens sind die IDEA Supermärkte durchaus sehr ansprechend und in Belgrad besonders. Sie sind übrigens ein Tochterunternehmen des kroatischen Konzerns Konzum. Zumindest ist man in der Wirtshaft oft unbefangener und rationaler als in der Politik.
Im Hotel zurück nehme ich noch ein umfassenderes Mittagessen zu mir. Danach bleibt noch immer Zeit für eine Stunde ruhen und lesen. Dann checke ich aus, packe mein Fahrrad zusammen und mache mich auf den Weg zum Busbahnhof. Um auf die Bussteige vorgelassen zu werden, bedarf es trotz meiner Fahrkarte noch einmal eines Tickets für 180 Dinar, also etwa 1,50 €. Verstanden habe ich das nicht, aber ich habe mich damit abgefunden, dass meine mangelnden Sprachkenntnisse natürlich Wissenstransferverluste nach sich ziehen. Um 17 Uhr stehe ich auf jeden Fall an dem für mich angegebenen Gate und beginne meine sechs Gepäckstücke auf zwei zu reduzieren. Das klappt Dank der chinesischen großen Taschen auch ganz hervorragend.
Natürlich bin ich ein wenig nervös. Aber der Bus kommt pünktlich kurz nach 17:30 Uhr und die Zahl der Fahrgäste ist auch überschaubar. Mehrere junge Männer und auch einige Frauen, offensichtlich alles Serben, ein ganz dicker Serbe, der mindestens 2 ½ Zentner auf die Waage bringt aber recht gut deutsch spricht, weil er schon 13 Jahre in Deutschland (Hamburg) arbeitet, eine Mutter mit ihrem etwa 10 bis 12-jährigen Sohn, der auch etwas adipös ist und ein Vater mit drei Kindern zwischen 4 und 6 Jahren, die allerdings ausgesprochen schlank sind. Die Verstauung meines Fahrrads und Gepäcks verläuft unproblematisch. Ich muss für das Gepäck noch etwa 12 € zahlen, so dass mich die Fahrt insgesamt auf 96 € kommt. Da kann man weiß Gott nicht meckern. Um 18 Uhr fährt der Bus pünktlich los.
Erst im Laufe der Fahrt erkenne ich das Prinzip des Busses. Es ist eine ausschließliche Verbindung zwischen Serbien und Deutschland. So gibt es mehrere Stationen in Serbien. Der Bus kommt bereits aus Nis und einem anderen Ort im Süden Serbiens und er wird auch noch in Novi Sad halten. Danach geht es, abgesehen von einigen Pausen, ohne Halt durch bis Deutschland. Dabei fährt der Bus fast eine Ideallinie: An Budapest, Bratislava und Wien geht es vorbei durch Tschechien ohne Halt in Prag. Die erste Station in Deutschland ist dann Dresden, die zweite Leipzig um dann über Berlin Hamburg, Bremen nach Oldenburg zu fahren. Aber so weit sind wir natürlich noch nicht.
Es sind immerhin mindestens drei Fahrer, die sich abwechseln bzw. für die Betreuung der Fahrgäste bzw. die Abwicklung von Formalitäten zuständig sind. Gesprochen wird aber nur serbisch. Keiner der drei Begleiter spricht offensichtlich mehr als ein paar Worte in einer anderen Sprache. Das finde ich in einem Bus, der für Eurolines fährt, doch etwas mager. In Novi Sad steigen dann noch einmal etwa fünf Fahrgäste zu, so dass in etwa 20 Fahrgäste insgesamt die Strecke bis Deutschland fahren. Der erst längere Aufenthalt ist dann an der serbisch-ungarischen Grenze. Die Serben lassen die Pässe einsammeln, kontrollieren sie wohl dann elektronisch und teilen sie wieder aus. Das dauert etwa ½ Stunde. An der Grenzkontrollstelle der Ungarn müssen alle Fahrgäste aussteigen, durch ein Kontrollgebäude gehen und ihren Pass vorlegen. Bei mir geht das immer ganz schnell, bei einigen dauert es länger. Die Ungarn kontrollieren auch recht intensiv das Gepäck. Das Ganze dauert dann noch einmal eine Stunde. Dann geht es weiter. Inzwischen ist es bereits nach 23 Uhr.
Durch Ungarn geht es dann recht zügig, so alle drei Stunden wird eine durchaus längere Pause eingelegt. Dennoch frage ich mich, ob es realistisch ist, dass wir um 9:30 in Leipzig sein können. Durch die Slowakei und Tschechien, deren Grenzen wir ohne Kontrolle passieren, verzögert sich die Fahrt wegen zahlreicher Baustellen. Die Fahrt um Prag herum gleicht einem Schneckentempo. Überall sind Staus und Baustellen. Schließlich sind wir aber in Deutschland. Inzwischen ist es aber bereits 9 Uhr. Mir tut der Rücken weh, weil für mich die Sitze im Bus nicht sonderlich bequem waren und auch gegen ein Frühstück hätte ich nichts einzuwenden, habe meine Vorräte aber inzwischen verbraucht. Plötzlich bremst der Bus und biegt auf einen Parkplatz ab. Es kommt eine Durchsage vom Fahrer, die ich nicht verstehe. Deshalb frage ich den dicken Serben, was los sei. Polizeikontrolle ist seine Antwort. Und als ich mich etwas recke erkenne ich auch den schwarzen Polizeiwagen der vor uns fährt und ein Folgenschild aufgeblendet hat.
Dann steigen drei Bundespolizisten in schwarzer Montur und kontrollieren die Pässe. Zwei sehr junge Beamte, eine Frau und ein Mann, gehen durch die Reihen, ein älterer Kollege sichert den Ausstieg ab. Mein Ausweis wird nur kurz angeschaut und ein okay gesagt, die meisten anderen serbischen Pässe werden einkassiert und wohl zur Überprüfung mitgenommen. Das zieht sich dann hin. Nach etwa einer halben Stunde kommen die Beamten wieder und teilen einige Pässe wieder aus. Dann werden insbesondere die jungen Männer und der Vater der drei Kinder gefragt wo sie hinwollen, wieviel Geld sie dabei haben und noch einiges mehr, was ich nicht verstehe. Schließlich müssen der Vater der drei Kinder und drei junge Männer mit den Beamten den Bus verlassen. Zunächst werden sie draußen vor dem Bus abgetastet und dann müssen sie in ein nahe gelegenes Gebäude mitkommen. Die drei Kinder, ein Mädchen und zwei Jungen, gehen mit der Situation relativ unbefangen um. Sie waren übrigens während der gesamten Fahrt ausgesprochen gesittet und friedfertig. Sie liefen zwar öfter mal im Bus herum, aber kein Geschrei, keine Tränen, gelegentlich ein Lachen und öfters mal ein Gang zur Toilette, den der Vater immer begleitete.
Das Warten zieht sich hin. Nach einer weiteren halben Stunde kommen zwei junge Männer wieder. Man sieht ihnen keine Erleichterung, aber doch Zorn an. Sie sagen wenig, aber sie schweigen beredt und ich muss sagen, ich kann das Gefühl verstehen. Dabei geht es nicht darum, dass sich die deutschen Grenzpolizisten nicht korrekt verhalten hätten. Dennoch stelle ich mir vor wie ich mich fühlen würde, wenn ich so behandelt würde. Ich denke dabei immer an Amerika, deren Einreiseverfahren ich bei allem Verständnis für ihr Sicherheitsbedürfnis ziemlich würdelos finde. Und nun auch in Deutschland? Ich bin mir auch über die Rechtlage im Moment nicht im klaren. Meines >Erachtens gibt es für Serben keine Visumspflicht. Wann darf man eigentlich einen Einreisenden an der Grenze abfangen? Nach einer weiteren Viertelstunde kommt die junge Polizeibeamtin die Kinder holen. Die Kinder folgen willig, was mich eher erstaunt. Gepäck findet sie keins. Fünf Minuten später kommt nun der Vater noch einmal unter Polizeiaufsicht in den Bus und rafft dann doch schnell noch einige im Gepäcknetz verstaute Sachen zusammen und wird wieder heraus- und abgeführt. Einer der jungen Männer kehrt auch nicht mehr zurück.
Dann bekommen die Busfahrer von der Bundespolizei das Signal, dass man weiterfahren könne. Die Stimmung im Bus ist betreten, ohne dass es zu größeren Diskussionen auch der Serben untereinander kommt. Schulterzucken ist die gängigste Reaktion. Der dicke Serbe erzählt mir auf meine Nachfrage, dass der Mann der Vater der Kinder sei und er mit den Kindern zu seiner Frau in Berlin wollte. Ich fühle mich ziemlich elend bei dem, was ich erlebt habe, ohne dass ich mich veranlasst sähe, irgendjemandem einen Vorwurf zu machen. Aber das, was ich hier erlebt habe, ist für mich auch ein Beispiel für die Hilflosigkeit unseres Umgangs mit Ausländern, wenn sie aus Ländern kommen, aus denen wir sie nicht haben wollen. Ich erinnere mich an den Auftritt von Obama und Merkel am Brandenburger Tor anlässlich des Evangelischen Kirchentages, die meines Erachtens beide zu Recht auch auf das Dilemma zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik hingewiesen haben. Obama brachte es auf den Punkt als er formulierte als Staats- oder Regierungschef gelte es gegenüber Flüchtlingen Barmherzigkeit zu zeigen. Aber es gebe auch eine Verpflichtung gegenüber der eigenen Bevölkerung. Dass er bzw. Politik für dieses Dilemma nach wie vor keine Lösung hat, sagte er nicht, aber es ergab sich aus dem Gesagten.
Es ist auch eine Folge dessen, dass wir zwar Globalisierung geschaffen haben, aber viele die damit verbundene notwendige Freizügigkeit der Menschen in einer globalisierten Welt als Menschenrecht nicht anerkennen wollen und damit sie derzeit auch gesellschaftlich nicht anerkannt werden kann. Dies auch, weil wir alle noch nicht in der Lage sind angstfrei mit der Situation der Freizügigkeit von Menschen aus anderen Kulturkreisen umzugehen. Wir dürfen nicht immer nur von den Migranten Integration fordern, wir müssen auch selbst erst einmal lernen, mit fremden Kulturkreisen umzugehen. Wir müssen das lernen und nicht ständig verdrängen oder tabuisieren und damit der Ausländerfeindlichkeit in unserer Gesellschaft Vorschub leisten. Wir werden der AfD nicht dadurch Herr, dass wir versuchen, die Alterspräsidentschaft im Deutschen Bundestag schon dadurch zu unterbinden, dass man das Gesetz ändert, bevor die AfD überhaupt im Deutschen Bundestag sitzt. Warum lässt man sich eigentlich ein solches Forum entgehen, um sich wirklich einmal inhaltlich mit der AfD auseinanderzusetzen wie es beispielsweise Macron im französischen Fernsehen mit Le Pen auf beispielhafte Weise vorgeführt hat. Aber ich schweife ab. Allerdings sind das die Gedanken, die mir an diesem Morgen nach diesem Erlebnis durch den Kopf gehen. Und es sind noch viel mehr, aber sie gehören jetzt hier nicht hin.
Der Bus macht dann seinen ersten Stopp am Dresdner Hauptbahnhof. Einer der jungen Männer steigt nun aus. Dann geht es weiter in Richtung Leipzig. Mit dreieinhalb Stunden Verspätung erreiche ich gegen 13 Uhr den Leipziger Flughafen. Mein Fahrrad und mein Gepäck haben alles gut überstanden. Ansonsten bin ich müde, hungrig und habe Kopfschmerzen. Letzteres veranlasst mich die 15 Km vom Flughafen nach Hause mit dem Rad zurückzulegen, was dem Kopf gut tut. Heidrun erwartet mich schon und wir freuen uns, uns nach so langer Zeit wieder in die Arme nehmen zu können. Ich bin froh, dass ich wieder zu Hause bin!
Lieber Herr Kohl,
Ich hatte mich schon am Tag Ihres Entschlusses abzubrechen gemeldet und Ihnen zu dieser weisen wenn auch schmerzlichen Entscheidung gratuliert. Glauben Sie mir man sollte öfter auf die Empfehlungen oder Hinweise der Frauen hören. So jetzt also wieder Leipzig und Regeneration. Genießen Sie einfach die Fürsorge Ihrer Frau und lassen die Seele baumeln.
Betroffen gemacht hat mich Ihre Schilderung des Umgangs mit EU-Bürgern bei der Einreise nach Deutschland. Wenn es uns nicht gelingt ein menschlich akzeptables Verhältnis zu vermeintlich Fremdem zu entwickeln dürfen wir uns nicht über Radikalisierung und wenn es nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit oder Verletztheit ist wundern.
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Planung Ihrer nächsten Reise und kann Ihnen jetzt schon versichern, daß ich ein treuer und neugieriger Leser sein und bleiben werde.
Bis dahin machen Sie es gut
Werner Hempel
Lieber Herr Kohl,
gerade wollte ich Ihnen nach längerer Pause auf Ihrer Reise folgen und habe somit erfahren, dass Sie bereits gut wieder in Leipzig angekommen sind. Ich danke Ihnen für die Teilhabe an den interessanten Berichten. Sicher werden wir uns nun auch mal wieder im Haus begegnen. Bis dahin seien Sie herzlich gegrüßt von Steffi Weigl